Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 17: „Wunschdenken: Tiere sind unsere Freunde“

Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 17: „Wunschdenken: Tiere sind unsere Freunde“

Kurzzusammenfassung:

„Tiere sind meine Freunde, und meine Freunde esse ich nicht“ dieses Zitat wird George Bernhard Shaw zugeschrieben. Für die Autoren klingt dies wie eine moderne Form des „Suppenkaspers“. Freundschaft beruhe auf Gegenliebe und Wohlwollen, was von Tieren in der Regel nicht geleistet werden könne. Das sei bei Nutztieren zum Beispiel gegeben, „denn diese beziehen ebenfalls einen Nutzen aus der menschlichen Obhut“. Andere Tiere haben hingegen nur ihren eigenen Nutzen im Sinn. Mücken beispielsweise stechen einfach ohne zu fragen und übertragen dabei noch Juckreiz und Malaria – „wirklich feine Freunde!“
Die Autoren meinen, dass Tiere in der vegetarischen Gedankenwelt nur als Domestiken (Dienstboten) vorkämen, was mit Freundschaft nicht das geringste zu tun hätte.
Kommt abermals mit auf eine abenteuerliche Reise in die pollmersche Logikkette und lest unseren siebzehnten Beitrag zum gelungensten Veganismus-Buch des Jahres 2015: „Don’t Go Veggie!“

Ihr wisst nicht worum es geht? Hier geht es zur Einleitung und hier geht es zur sechzehnten Tür des Kalenders „Natürlich: Tierhaltung ist widernatürlich„.

Wunschdenken: Tiere sind unsere Freunde

Ein Lob auf die Knechtschaft?

In diesem Kapitel haben es die Autoren auf die Freundschaft abgesehen, genauer gesagt, auf das George Bernhard Shaw zugeschriebene Zitat „Tiere sind meine Freunde, und meine Freunde esse ich nicht“.
Dieser „modernen Form des Suppenkaspers“, mit dem die Autoren in ihrem gewohnt geringschätzigen Habitus einsteigen, wollen diese nun ein „falsches“ Freundschaftskonzept nachweisen. Als Kronzeugen missbrauchen sie dafür Aristoteles und eine Konzeption, die auf „Wohlwollen“ und „Gegenliebe“ fokussiert. Problem ist nur, dass auch Aristoteles davon ausgegangen sein soll, dass Freundschaft mit „Nutztieren“ möglich sei, da auch diese „so etwas wie Gegenliebe“ empfinden könnten.

Um dem zu entgehen, begehen die Autoren mal wieder einen Fehlschluss. Und zwar verweisen sie darauf, dass es von menschlicher Seite gar keine Freundschaft sei, die „Schmusetieren“ entgegengebracht werde (von „Nutztieren“ wird an der Stelle schon gar nicht mehr gesprochen“). Das aber spricht nicht gegen eine Freundschaft im Sinne von Shaw oder Aristoteles, sondern gegen den Menschen, der sich eben, obwohl es möglich wäre, nicht freundschaftlich verhält. Es ist ein Argument gegen einen bestimmten Freund, nicht gegen Freundschaft. Weil ein Freund keiner sei, soll also Freundschaft falsch sein. Aus der Beschreibung eines Sein, folge damit ein Sollen. Erneut haben wie es mit einem, je nach Lesart deskriptivistischen oder naturalistischen Fehlschluss zu tun.

Weiterhin seien nun jene Tiere keine Freunde, sondern „Lustsklaven“. Das Beispiel sei der Hund, der zum „Hampelmann“ erzogen worden sei und „nach den Befehlen des Menschen lechze“. Allerdings wendet sich ihre gewohnt aggressive und polemische Sprache hier wieder einmal gegen sie selbst, denn die Autoren argumentieren ja nicht gegen Tierhaltung, sondern dafür! Das wiederum bedeutet nichts anderes, als dass sie jene, je nachdem „Lust-“ oder „Nutzsklaverei“ gut finden. In ihrer eigenen Terminologie sind Tierhalter dann nichts anderes als hedonistische Sklavenhalter. Auf diese Weise vergleichen sie selbst die Haltung von Tieren mit Sklaverei und heißen diese auch noch als solche gut. Zwar könnte man jetzt anführen, dies gelte nur für Tiere, die zu „Lustzwecken“ gehalten und als gehorsam erzogen werden, aber den Autoren zu unterstellen, sie sähen das Essen nicht als Lust an, wenn sie den Veganer*innen doch vorwerfen, sich dem Genuss zu entziehen und wollten lieber „ungehorsame“ Tiere, also solche, die nicht mit Zwang unter die Knute des Menschen gezwungen werden, scheint dann doch zu absurd.

Um ihren Fehlschluss noch weiter auszubauen, verwerfen sie anschließend noch schnell neuere Thesen und Untersuchungen, die sehr wohl eine wechselseitige Einflussnahme, eine wechselseitige „Domestizierung“ von Mensch und insbesondere Wolf im Laufe der Geschichte herausstellen. Ihr Argument ist, dass es ja absurd sei, denn dann hätte ja der Wolf die zu ihm „passenden“ Menschen zur Vermehrung genötigt, dabei sei es genau andersrum gekommen.
Damit aber inszenieren die Autoren erneut nicht nur ihre historisch allenfalls mangelnden Kenntnisse, sondern auch ihre pure Ignoranz gegenüber Theorien und Ansätzen, die ihnen nicht in den Kram passen und die sie nicht verstehen. Es geht eben nicht darum, dass der Wolf wollte, dass er gezüchtet wurde, sondern darum, dass das Verhalten des Wolfes und später Hundes auch den Menschen in seinen Praktiken, seinem Alltag und sogar Denken (man rufe sich nur die vielen Metaphern zur Treue des Hundes in Erinnerung) beeinflusste. Ein gutes Beispiel für eine quasi gegenseitige „Domestizierung” ist das „Gassigehen“ und die etwas provokante Frage, wer denn eigentlich mit wem spazieren gehe. Oder, um es mit den Worten Montaignes auszudrücken: „Wenn ich mit meiner Katze spiele, wer weiß denn, ob sie sich nicht eher die Zeit mit mir vertreibt, als ich mit ihr?” (Montaigne: irgendwo in den Essais) 1

Wer spielt hier mit wem?

Allen wirklich Interessierten sei daher das Feld der „Animate History“ empfohlen, dass sich mit dem Tier als Akteur und solchen wechselseitigen Beeinflussungen auseinandersetzt und diese erforscht (Lesetipp dazu am Ende).

Am Ende kommen die Autoren noch einmal auf die Reziprozität zu sprechen. Die freilebenden(!) Tiere, um die es davor überhaupt nicht ging und mit denen auch keine Freundschaft behaupten worden ist, hätten ohnehin nur ihren Vorteil im Sinn. Ja aber was denn bitte auch sonst? Und wieso ist nun auch noch ein nicht freundschaftliches Verhalten außerhalb einer Freundschaft ein Argument gegen sie? Freundschaft bedeutet immer eine gewisse Nähe und eine gewisse Reziprozität, wenn ich diese als konkretes Konzept denke. Als abstraktes Konzept hingegen drückt es vor allem eine Haltung des Wohlwollens aus. Dieser Unterschied der Ebenen von Freundschaft interessiert die Autoren nicht und ist ihnen scheinbar auch nicht klar. Dafür müsste man sich eingehend mit den Konzeptionen von Freundschaft beschäftigen. Das aber macht es wiederum unmöglich mit vereinfachender Polemik um sich zu werfen.
Hinzu kommt, dass die Autoren auch einen ganz zentralen Punkt übersehen: Freundschaft ist eben abseits der Perspektive eines grundsätzlichen Wohlwollens, die damit ausgedrückt werden soll, kein gängiges Begründungskonzept von Tierrechten. Reziprozität ebenso wenig. Das gilt auch für den Menschen. Ich kann jemandem mit Freundschaft und Wohlwollen begegnen, auch wenn dieser nicht in gleichem Maße dazu fähig ist.
Eine gleiche Vokabel bedeutet eben auch nicht immer dasselbe, das sei hier abschließend den Autoren als Tipp mitgegeben. Genauer hinschauen lohnt. Das gilt insbesondere auch für aus dem Zusammenhang gerissene Zitate. So könnte dieses hier auch so interpretiert werden, dass es um eine Vereinfachung des Verhältnisses zu Tieren geht, um dieses Kindern begreiflich zu machen. In dieser Hinsicht ist das Zitat vor allem pädagogisch zu verstehen. Es taugt also nicht als Begründung von Tierrechten und ist in gewisser Hinsicht auch ein wenig naiv, wenn man wirklich von einer Freundschaft mit Tieren ausgeht (wie wohl die natürlich möglich ist), oder erweckt zumindest den Verdacht des Kategorienfehlers. Aber um Kindern die Grundidee des Veganismus zu vermitteln, taugt es sehr gut. Man könnte natürlich auch verlangen, dass Kinder in Schlachthäusern den Umgang mit Tieren lernen.
1 Kleiner Scherz auf Kosten der Pollmer’schen Zitierweise. Hier die eigentliche Quellenangabe: Michel de Montaigne: Die Essais, Stuttgart 2005, S. 206.

Lesetipp

Sven Wirth u.a. (Hrsg.): Das Handeln der Tiere. Tierliche Agency im Fokus der Human-Animal Studies, Bielefeld 2016.

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