Biohaltung – alles tutti?

Biohaltung – alles tutti?

Einleitung

„Ich esse nur ganz wenig Fleisch, und auch nur Bio.“ Wohl fast jede*r Veganer*in hat diesen Satz schon gehört. Und häufig glauben diejenigen, die diese Aussage treffen, sie auch.
Die Implikation dieser Aussage ist: „Mein Tierproduktkonsum ist ethisch vertretbar, weil Biohaltung ethisch vertretbar ist.“

Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, „nur ganz wenig“ Bio-Tierprodukte zu verbrauchen, haben im Grunde erkannt, dass der Konsum von Produkten aus konventioneller „Intensiv-Tierhaltung“ ethisch nicht zu rechtfertigen ist: Es stehen das Leiden der Tiere und die Belastung unserer Umwelt einem kurzfristigen Genuss gegenüber, der mit dem Argument der „ausgewogenen Ernährung“ nicht begründet werden kann, da diese auch auf anderen Wegen zu erreichen ist.

Das Ausweichen auf Produkte aus Bio-Haltung ist als Versuch zu werten, die Beibehaltung des eigenen Tierpdodukt-Konsums ethisch zu rechtfertigen, indem auf Produkte aus einer Haltungsform zurückgegriffen wird, die den Verbrauchern als eine „optimale Haltung“ verkauft wird, und die ihnen daher als „ok“ erscheint – getreu dem Motto „ich zahle gern ein wenig mehr, wenn ich weiss, dass es den Tieren, die ich konsumiere, gut ging”.

Es stellen sich also die folgenden zwei Fragen:

  1. werden tatsächlich (fast) ausschliesslich Bio-Tierprodukte konsumiert und
  2. ist Bio-Tierhaltung tatsächlich das „Tierparadies“, für das es gern ausgegeben wird?

Die Antwort auf die erste Frage dürfte in den allermeisten Fällen „nein“ lauten. Von allen Menschen, bei denen ich näher nachgefragt habe, antwortete mir keine*r, dass er*sie auswärts den Konsum von Tierprodukten meidet. In der Kantine, im Restaurant, beim Bäcker, bei Freunden usw. wird natürlich nicht auf Bio geachtet, und selbst wenn für zuhause das Fleisch tatsächlich in Bio-Qualität gekauft wird, hört es in aller Regel bei fertigen Produkten auf. Siehe hierzu auch: Der Omni-Dreisatz.

Stellt sich also die zweite Frage: Wenn der Konsum konventioneller Tierprodukte ethisch problematisch ist, wie sieht es dann mit Bio-Tierprodukten aus?

Gut für die Tiere?

Sehen wir uns also an, was „bio“ bedeutet. Viele, die die oben zitierte Aussage treffen, dürften hier eine Kuh auf der grünen Wiese, eventuell auch gleich mit Kälbchen, oder alternativ ein freudig grunzendes schwarz-weißes Schwein im Stroh oder auf der Weide vor Augen haben. Und sicherlich gibt es solche Fälle.

Schweine, Kühe und Hühner auf dem Hermannsdorfer Biobetrieb
Tiere der Hermannsdorfer Landwerkstätten
Foto von Stefanie Schmid

Sie sind aber definitiv die Ausnahme.
In den meisten Fällen wird man bei Bio in etwa das bekommen, was die EU-Öko-Richtlinien bzw. die (strengeren) Richtlinien des jeweiligen Bioverbands (z.B. Bioland, Demeter, Naturland, etc.) vorgeben [4].

Relevante Bestimmungen finden sich unten im Anhang nochmal in tabellarischer Form.

Allgemein

Üblicherweise werden in der Biohaltung die gleichen Rassen verwendet wie in der konventionellen Haltung. Daher Hierbei treten die gleichen zuchtbedingten Probleme auf.

Biotiere erhalten anderes und biologisch angebautes Futter. Ob das für das Tier eine nennenswerte Rolle spielt, darf bezweifelt werden.

Die prophylaktische Gabe von Antibiotika ist untersagt, generell ist die Gabe von Antibiotika stark reglementiert (aber nicht, wie oft angenommen, verboten). Nach der Gabe von Antibiotika muss eine längere Karenzzeit eingehalten werden, bevor die Körperteile des Tieres wieder als Bio verkauft werden dürfen. Ob dies im Interesse des Tieres ist, ist fraglich, die Vorteile hat hier hauptsächlich der Verbraucher.

Die Schlachtung von Biotieren erfolgt in den gleichen Schlachthöfen und durch die gleichen Schlachter wie bei konventionell gehaltenen Tieren. Für eine Zertifizierung eines Betriebes als Bio-Schlachthof genügt es, wenn die Schlachtung der konventionell aufgezogenen und der Bio-Tiere nicht im selben Arbeitsgang stattfindet. Im Procedere gibt es für Bio-Tiere keine “Sonderbehandlung”. Reine Bioschlachthöfe sind selten, und nicht unbedingt tierfreundlicher. Zum einen, weil die systemischen Probleme die gleichen sind, zum anderen, weil durch die geringere Anzahl von Bio-Schlachthöfen die Transportwege länger werden können, als es sonst der Fall wäre. [1]

Viele in den letzten Jahren aufgedeckte Schlachthofskandale [2] betrafen für die Bio-Schlachtung zertifizierte Schlachthöfe.

Kühe

Kuh: Box-Maße bio vs. konventionellDie Kuh mit Kälbchen auf der Wiese ist in aller Regel keine Milchkuh. In Deutschland praktiziert eine niedrige zweistellige Anzahl von Höfen eine muttergebundene Kälberaufzucht bei Milchkühen [3], und hier handelt es sich häufig nicht tatsächlich um die Mutter, sondern um Ammenkühe, denen mehrere Kälber zugeteilt werden.

Selbst in der Biohaltung wird das Kalb in aller Regel kurz nach der Geburt von der Mutter getrennt. Nach EU-Bio-Richtlinien ist es erlaubt, das Kalb die erste Lebenswoche allein in einem Kälberiglu zu halten.

Auch die Wiese ist nicht so selbstverständlich, wie man denken könnte. Nach EU-Bio-Richtlinien ist Auslauf, nicht aber eine Weide vorgeschrieben, und auch dieser muss nicht ganzjährig gewährleistet sein. Eine nicht dauerhafte Anbindehaltung (z.B. nur im Winter) ist in allen Formen der Biohaltung erlaubt und gerade bei kleineren Höfen mit älteren Ställen, die nicht so einfach zum Laufstall umfunktioniert werden können, gängige Praxis [5].

Die Enthornung der Kühe muss im Gegensatz zu konventioneller Haltung mit Betäubung vorgenommen werden, ist aber außer bei demeter bei allen größeren Bioverbänden erlaubt.

Die Platzvorgaben sind merklich strenger als in der konventionellen Haltung, hier sind 6 statt 3 m² pro Tier vorgeschrieben [6].

Ob 6 m² für eine ausgewachsene Kuh allerdings die Bedürfnisse wirklich befriedigen (insbesondere, wenn die Kuh den Winter über angebunden ist), ist zu bezweifeln.

Schweine

Mastschwein: Box-Maße bio vs. konventionellViele der in der Schweinehaltung kritisierten Praktiken treffen auch auf die Biohaltung zu. So werden auch in der (EU-)Biohaltung Ferkel kastriert und die Schwänze werden kupiert – allerdings ist eine Betäubung vorgeschrieben. Die Verwendung von sogenannten Ferkelschutzkörben, also Käfigen, in denen sich das Mutterschwein kaum bewegen und nicht einmal umdrehen kann, ist in allen Bio-Richtlinien erlaubt und auch in der Biobranche gängige Praxis. Gleiches gilt für die „Not-“Tötung schwacher, zu kleiner Ferkel (sog. Kümmerlinge).

Ein Auslauf muss zwar vorhanden sein, dieser muss allerdings nicht zwingend die Möglichkeit zum Wühlen (ein absolutes Grundbedürfnis von Schweinen) oder eine Suhle beinhalten. Die tatsächlich vorhandene Menge Stroh reicht in aller Regel ebenfalls nicht zum Wühlen.

Platzmäßig stehen einem Mastschwein über 110 kg (also kurz vor der Schlachtung) 1,5 m² statt in der konventionellen Haltung 1 m² zur Verfügung. Ob das einem über 100 kg schweren Schwein für ein ansatzweise bedürfnisgerechtes Leben ausreicht, ist anzuzweifeln.

Hühner

Die gängige Praxis des Kükenschredderns für die Eierproduktion ist in der Biohaltung ähnlich verbreitet wie in der konventionellen Haltung, und in allen Bio-Verbänden erlaubt. Es gibt Initiativen (Bruderhahn, etc.), die die männlichen Tiere eine Zeit lang mästen und dann deren Fleisch verkaufen, dies ist allerdings nach wie vor die Ausnahme und bedeutet für die Hähne auch nur wenige Monate Lebensdauer.

Die Anzahl der Hühner pro Stall ist in der Biohaltung stärker begrenzt als in der konventionellen Haltung. Ob es für ein Huhn tatsächlich einen Unterschied macht, ob in seinem Stall 6000 oder 3000 Tiere leben ist allerdings fraglich.  Auch die Bio-Haltung hat mit Schwierigkeiten durch Federpicken zu kämpfen – häufige Ursachen hierfür sind hohe Besatzdichten und mangelnde Möglichkeiten, artgerechtes Verhalten auszuleben. In der EU-Biohaltung ist dementsprechend auch das Kürzen der Schnäbel (wenn auch mit Betäubung) erlaubt.

Die maximale Besatzdichte ist zwar niedriger, allerdings ähnlich wie bei Schweinen nach wie vor in einem Bereich, der den natürlichen Bedürfnissen eines Huhns in keiner Weise gerecht wird. Die Vorgaben für den Auslauf lassen insbesondere in der EU-Biohaltung stark zu wünschen übrig, da hier keinerlei Vorschriften für Schutz und Verstecke bestehen. Da Hühner als Beutetiere auf solche Versteckmöglichkeiten angewiesen sind, trauen sich sehr viele Hühner gar nicht erst ins Freie, was zu den Bildern aus der Freiland- und Biohaltung führt, in der sich einige Hühner im Eingangsbereich aufhalten, der größte Teil der Freifläche allerdings nahezu ungenutzt ist. Die Vorgaben für die den Hühnern zur Verfügung stehende Auslauffläche werden hierdurch stark verwässert.

Zusammenfassung

Insgesamt ist festzustellen, dass die Biohaltung, sofern kontrolliert und richtliniengemäß umgesetzt, zwar gewisse Verbesserungen gegenüber dem konventionellen Status quo bedeutet, eine tatsächlich den Bedürfnissen der Tiere entsprechende Haltung durch die Richtlinien aber in keiner Weise gewährleistet wird. Ebenso wie in der konventionellen Haltung werden essenzielle Grundbedürfnisse der Tiere weitgehend nicht berücksichtigt, viele der üblichen Kritikpunkte an konventioneller Haltung („Ferkelschutzkörbe“, Kükenschreddern, Trennung der Kälber von der Mutter, etc.) sind in der Biohaltung ebenfalls gängige Praxis.

Und selbstverständlich ist ein Tier aus Biohaltung ebenso ein fühlendes Lebewesen, das nicht sterben möchte. Selbst die artgerechteste Haltung würde uns nicht dazu berechtigen, ein Tier nach einem Bruchteil seiner biologischen Lebensdauer – denn natürlich werden auch Biotiere nicht alt – gewaltsam ums Leben zu bringen.

Anhänge

Biohaltungsbedingungen im Vergleich

Bedingungen Biohaltung
Ein Klick auf die Grafik oder hier öffnet die Tabelle.
Erklärung zur Tabelle: “/” bedeutet: keine gesonderte Regelung, es wird auf die Regelung des EU-Bio-Standards zurückgegriffen, sofern vorhanden, sonst auf die gesetzliche Regelung für konventionelle Haltung. Gesonderte, ausführliche Daten für Geflügel, Rinder und Schweine finden sich in derselben Tabelle auf den entsprechend benannten Tabs (unten).

Quellen

[1] Schlachtet Bio besser?, Schrot & Korn 10/2014
[2] Beispiele Schlachthofskandale:

[3] Ammenaufzucht von Kälbern, Kuh+Du
[4] EU-Bio-Richtlinien und Richtlinien einiger Verbände:

[5] Praxis der Haltung im Anbindestall bei Bio-Erzeugung:

[6] Platzvorgaben Bio-Rinderhaltung
[7] Bericht der Albert-Schweitzer-Stiftung über den Lidl-Haltungskompass

1 Kommentar

  1. Mzuka

    Danke für den Artikel. Hinweis: Die Links zu den Quellen gehen in Dein Googledokument.