Adventskalender „Don’t go Pollmer!“: FAZIT

Adventskalender „Don’t go Pollmer!“: FAZIT

Die Idee, uns mit dem Buch “Don’t Go Veggie” im Rahmen eines Adventskalenders zu beschäftigen, kam uns ca. eine Woche vor dem 1. Dezember. Man kann uns den Vorwurf machen, dass wir Pollmer und co. zu viel Aufmerksamkeit geschenkt haben. Doch erstens erfreut sich Pollmer durchaus nicht geringer Bekanntheit in der Öffentlichkeit und zweitens werden in dem Buch Argumente gebracht, die oft in Diskussionen auftauchen – wie z. B. der Vorwurf, dass Pflanzen auch Gefühle haben oder dass Veganismus eine Religion sei. Unsere Artikel dienten also nicht nur der Auseinandersetzung mit Pollmer und co., sondern mit gängigen Argumenten, die gegen den Veganismus oder Tierrechte vorgebracht werden. Deshalb taugen die Artikel auch und gerade dann, wenn man in einer Diskussion die alten abgedroschenen Argumente hört.

Den Bildungsauftrag indes verfehlt das Buch nicht. Denn in seiner Absurdität regt es zum Nachdenken an. Wir haben viel gelernt. Wir wissen jetzt, dass Metzger Lob verdienen für die schnelle und praktisch schmerzfreie Tötung von Tieren. Immerhin handelt es sich dabei um eine Gnade, die freilebenden Tieren nicht zuteil wird. Dass der Stierkampf ein zutiefst feministisches Ritual ist. Dass Vegetarier*innen und Veganer*innen viel mehr an Spinnen, Schaben und Pflanzen denken sollten, denn die haben auch Gefühle und werden natürlich völlig willkürlich aus der moralischen Sphäre ausgenommen. Dass die Tierhaltung nicht verantwortlich ist für die Zerstörung des Regenwaldes. Dass Vegetarismus und Veganismus nur als Religion verstanden werden können. Dass die vegane Hand des Todes dazu führen muss, alle Tiere zu vernichten. Dass die Rückkehr zum Sonntagsbraten keine Lösung darstellt, ebenso wie Veganer*innen der Feind jeglichen Genusses und jeder Lebensfreude sind. Dass Tiere nicht unsere Freunde sind und auch nicht diskriminiert werden können. Dass Antispeziesismus nicht die Konsequenz von Antirassismus und Antisexismus ist. Dass ohne die Jagd die Wälder eine einzige Wildnis wären und die Invasion der Wölfe kurz bevorsteht. Hier hört das Buch leider nicht auf, sondern fängt erst richtig an, womit wir uns noch an einer anderen Stelle beschäftigen wollen (Stichwort: Bullshitbingo).

Das Buch hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, in einer Diskussion Argumente auf ihre Richtigkeit zu prüfen und den entsprechenden Kontext zu berücksichtigen. Polemik kann angemessen sein, wenn sie gut gemacht ist. Mit schlechter Polemik dagegen zeigt man nur seine eigene Unredlichkeit. Und darin sind Pollmer und Co. Meister. Man muss abschließend die Frage stellen, was für Menschen die Autoren sein müssen, wenn sie z. B. sagen, dass die heutigen Mastanlagen für KZ-Häftlinge das reinste Paradies gewesen wären oder dass Tieren auf Gnadenhöfen das Recht vorenthalten wird, ordnungsgemäß geschlachtet und verspeist zu werden. Die Autoren schreiben an so vielen Stellen im Buch Ungeheuerlichkeiten, dass es schwer fällt, die schlimmsten Zitate herauszupicken. So kommen sie unter Anderem zum Schluss, dass Tierrechtler*innen sich nicht beschweren dürfen, wenn sie von Tierethikern vergewaltigt werden.

„Don’t Go Veggie!“, Seite 171

Sie haben kein kritisches Bewusstsein. Weder in Bezug auf Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus und Speziesismus, noch in Hinsicht auf bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse. Die Autoren leben wahrlich in einem Wolkenkuckucksheim und stimmen mit Leibniz sicherlich ein in die beste aller möglichen Welten. Und wie einfach ist das, wenn man aus einer privilegierten Sichtweise heraus spricht! Nur muss das noch jemand all denjenigen Tieren und Menschen mitteilen, die unter der Tierhaltung und allem, was damit zu tun hat, zu leiden haben. In diesem Sinne ist das Buch aber nicht nur argumentativ schlecht, sondern an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Die Milliarden Opfer der Tierindustrie erfahren nur Hohn und Spott. In einer sagenhaften Täter-Opfer-Umkehr werden aus Vegetarier*innen, Veganer*innen und Tierrechtler*innen jene, denen nichts an den Tieren liegt und die die Menschen als Ganzes unterjochen wollen. Darauf muss man erstmal kommen.

Das Schlimmste an den “Argumenten” der Autoren ist aber, dass diese gar keine sind. Damit ist es auch schwer, ihnen argumentativ beizukommen, denn es sind vor allem Polemiken, die Stimmung machen sollen. Damit wird nicht nur versucht, Argumente zu ersetzen, sondern die Leser*Innen werden auch darauf vorbereitet, Gegenargumente sofort abzulehnen. Der Trick ist so einfach wie leider weit verbreitet. Es ist der gleiche Trick, den auch “besorgte Bürger” oder AfDler nutzen, wenn sie von “Horden von Flüchtlingen” schreiben statt von “vor Terror flüchtenden Menschen”, von “Wirtschaftsflüchtlingen” statt von “vor Armut und Elend Flüchtenden”. Es ist die Macht der Sprache, die auch Elisabeth Wehling in ihrem Buch “Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht” thematisiert. Ein wichtiges Rüstzeug, um diesem Buch beizukommen, ist also, seine gewalttätige und manipulative Sprache zu entlarven.
Der Comic vom Artgenossen fasst es noch einmal wunderbar zusammen. Es gibt kaum einen besseren Weg Pollmer beizukommen, als seinen widersprüchlichen Unsinn im Original zu zitieren.

Der Artgenosse: Website, Facebook

Ganz im Sinne des Titelbildes wollen die Autoren scheinbar nicht hören und nicht sehen, aber sprechen, dass wollen sie.

Unten findet ihr sozusagen im Anhang eine Übersicht über alle von uns beleuchteten Artikel. Sie sind nicht nur auf das Buch bezogen, sondern könnenals Antwort auf ein typisches Omni-Bullshitbingo gesehen werden. Viel Spaß beim Lesen!

Lesetipps

Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, Köln 2016.

George Lakoff, Elisabeth Wehling: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht, 3. Auflage, Heidelberg 2014.

George Lakoff, Mark Johnson: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, 7. Aufl., Heidelberg 2011.

Artikelübersicht

Tür 1: „Total Banane: Menschenrechte für Menschenaffen“

Tür 2: „Wahn: Berühmte Vegetarier sind moralische Vorbilder“

Tür 3: „Endlösung: Alle Nutztiere müssen abgeschafft werden, weil sie leiden“

Tür 4: „Irrtum: Vegetarismus ist eine Ernährungsweise“

Tür 5: „Unsensibel: Pflanzen empfinden nichts, also darf man sie essen“

Tür 6: „Unbarmherzig: Wie Tierphilosophen gegen die Lebensfreude zu Felde ziehen“

Tür 7: „Gurkentruppe: „Große Vegetarier” sind große Vegetarier

Tür 8: „Blick in den Spiegel: Vom Leid der Massenkinderhaltung!“

Tür 9: „Olé, olé, olé: Der Stierkampf sollte verboten werden”

Tür 10: „Märchen: Wölfe sind ganz lieb”

Tür 11: „Fromme Lüge: Vegan essen ist kein Verzicht, sondern wahrer Genuss“

Tür 12: „Weltfremd: Wer Tiere wirklich liebt, tötet sie nicht“

Tür 13: „Von wegen: Gnadenhöfe sind eine Gnade für das Vieh.“

Tür 14: „Diskriminierend: Spinnen und Schaben kennen keinen Schmerz“

Tür 15: „Der Kampf gegen Speziesismus ist die logische Fortsetzung des Kampfes gegen Sexismus“

Tür 16: „Natürlich: Tierhaltung ist widernatürlich“

Tür 17: „Wunschdenken: Tiere sind unsere Freunde“

Tür 18: „Killerphrase: Jäger sind Mörder“

Tür 19: „Unmöglich: Der Sojaanbau für die Schweine ruiniert den Regenwald“

Tür 20: „Zahlenspiele: Früher gab es nur sonntags Fleisch – den Sonntagsbraten“

Tür 21: „These: Der Mensch diskriminiert Tiere“

Tür 22: „Rechenfehler: Die Massentierhaltung führt zu immer höheren Tierzahlen“

Tür 23: „Versöhnungsdusel: Das Vermeiden von Leid eint Tier und Mensch“

Tür 24: „Unter Gesetzlosen: Alle Lebewesen haben ein Recht auf Leben“

Beteiligte Autoren