Schwein gehabt?
Ein Problem treibt unseren Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Christian Schmidt (CSU), seit März 2016 [7] um: Den Kindern in unseren Schulen und Kitas wird das Schwein als sinnstiftendes Element auf dem Teller vorenthalten!
“Dass unsere Kinder kein Schweinefleisch mehr bekommen, ist völlig inakzeptabel”
so Schmidt gegenüber der BILD. Wie schon im März 2016, fordert er die Betreiber von Schul- und Kita-Kantinen wiederum auf, auch Gerichte mit Schweinefleisch regelmäßig auf dem Speiseplan anzubieten. Anders als noch im März erkennt der Minister im Interview nun richtig, dass das Fehlen von Schweinefleisch auf den Speiseplänen nicht weltanschaulich begründet ist:
„Es ist übrigens auch unfair gegenüber den Muslimen, diese Einschränkungen mit ihren religiösen Vorschriften zu begründen.“
In der Tat, das auffällige Fehlen von Schweineteilen auf den Kindertellern hat neben ernährungsphysiologischen auch ökonomische Gründe: Warum Schweinefleisch auf den Menüs der Schulen und Kitas selten auftaucht, wird nach Lektüre der von Schmidts Ministerium in Auftrag gegebenen Publikation mit dem Titel „DGE-Qualitätsstandard für die Schulverpflegung“ schnell ersichtlich. In deren Grußwort schreibt Schmidt, sie sei das Ergebnis des Auftrags seines Hauses, „wissenschaftlich gesicherte und praxistaugliche Qualitätsstandards für die Schulverpflegung“ zu erarbeiten“. [1]
Kurz und knapp besagen die auf Schmidts Initiative gefundenen Qualitätsstandards für das Mittagessen (soweit sie Fleisch betreffen):
- innerhalb von 20 Verpflegungstagen sollen maximal acht Gerichte mit Fleisch/Wurst serviert werden [1a]
- weißes Fleisch soll bevorzugt angeboten werden [1b]
- ist das Fleischgericht vom Schwein, muss eine alternative Fleischsorte angeboten werden [1c]
Mit einem Ausklammern von Schweinefleisch orientiert sich die Schulküche bzw. der Caterer also nicht nur strikt an den Empfehlungen der DGE, er spart auch noch Kosten für den Aufwand der Zubereitung eines zweiten Fleischgerichts ein. Kosten, die nicht nur für den zusätzlichen Arbeitsaufwand, sondern auch für zusätzliche Hygienemaßnahmen anfallen, die bei gleichzeitiger Verarbeitung von rohem Geflügel und anderem Fleisch erforderlich werden. Denn: Geflügel gilt als „mikrobiologisch sensibel“ und kann Herd für gefährliche Mikroorganismen, u.a. für Salmonellen sein. Deshalb muss es im rohen Zustand separat gelagert werden, und nach seiner Verarbeitung ist eine Desinfektion der Arbeitsflächen und -geräte erforderlich. [4] Um das zu umgehen, könnte man Schweinefleisch ausschließlich parallel zu anderem roten Fleisch anbieten, was aber wegen der Rohstoffkosten das Budget der Schulen mühelos sprengt und der zweiten Empfehlung (Bevorzugung von weißem Fleisch) widerspricht. Aus dieser Erkenntnis rührt wohl Schmidts Anmerkung: “Wir sollten nicht aus Bequemlichkeits- oder Kostengründen für die Mehrheit in der Gesellschaft die Auswahl einschränken.”
Aber: Woher soll das Geld kommen? Wem soll der erhöhte Aufwand nützen? Schon jetzt ist das Budget der Schulen zu knapp: Im Schnitt können etwa NRWs Schulen nur 2,50 Euro für ihr Mittagsangebot verlangen. Für ein Angebot, das den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entspricht, ist das bereits jetzt zu wenig Geld – Großküchen kalkulieren hierfür mindestens 3,50 Euro pro Mahlzeit, andere Institutionen setzen bei mindestens vier Euro an. [2] Kosten für den Aufwand, den die Aufnahme von Schweinefleisch in das Menü verursachte, kämen hier hinzu.
Was also bekommen Kinder und Eltern für die höheren Kosten? Eine aus ernährungsphysiologischer Sicht besser ausgewogene Ernährung offenbar nicht. Die DGE bewertete rotes Fleisch ganz unmissverständlich als “unter gesundheitlichen Gesichtspunkten ungünstiger” als Geflügel [1b] – und das schon 2013, noch bevor die WHO rotes Fleisch als “wahrscheinlich krebserregend”, und verarbeitetes Fleisch wie Wurst als “krebserregend” einstufte [6]
Zudem sollte auch die Frage gestellt werden, wünschen sich die Kinder Gerichte mit Schweinefleisch? Schauen wir in die Charts: Spitzenreiter bei den Kindern lt. Menü-Charts des großen Caterers Apetito ist die vegetarische Linsensuppe, auf Platz zwei findet sich Hühnerfrikassee mit Erbsen und Reis, dann Tomatensuppe mit Reis und Rindfleischklößchen (Platz drei), Gemüseravioli in Tomatensoße (Platz vier) und Fischstäbchen mit Kartoffelpüree und Rahmspinat (Platz fünf). Der Trend zum Vegetarischen halte bei den Kindern an, so Apetito. [5] Nicht mal ein Hähnchenschnitzel schafft es in die Top 5. Man gewinnt daraus nicht den Eindruck, als gäbe es bei den Kindern eine dringende Nachfrage nach Schweinefleisch.
Die Frage an den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, wem sein Vorstoß nützt, bleibt also offen. Es scheint hier eine Lösung für ein Problem verlangt zu werden, das für die Verbraucher keines ist.
Hier sei auch noch einmal wärmstens der Artikel vom Graslutscher empfohlen, der das ganze sehr humoristisch aufrollt:
Die CDU für mehr Schweinefleisch. Weil auch Vegetarier sich integrieren müssen!
P.S.:
Danke an die BILD für ihre journalistisch pieksaubere Fragestellung zum Thema
„Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) hat genug vom Veggie-Wahn!“
Noch einige noch gänzlich undiplomatische Antworten auf die brennendsten Fragen aus dem Interview:
„Vegetarisches Schnitzel“ oder „Vegane Currywurst“ – warum dürfen Hersteller ihre Produkte so nennen?“
Nun – weil sie vegetarisch bzw. vegan sind. Sonst wäre das Etikettenschwindel.
„… kommt kein Schweinefleisch mehr auf den Tisch, aus Rücksichtnahme auf die steigende Zahl der Muslime…“
Im Paper der DGE ist keine Rede vom Islam oder anderen Religionen – nur von Ernährungswissenschaft.
Quellen:
[1a] Seite 19, Tabelle 5
[1b] Seite 14,Fußnote 14, mit Referenz auf [3]
[1c] Seite 18, linke Spalte
[2] http://www1.wdr.de/fernsehen/quarks/sendungen/sbschulessenaufgewaermtbilligfad102.html
[3] Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE. Bonn, 25. überarbeitete Auflage (2013)
[4] https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/lmhv_2007/gesamt.pdf
[5] https://www.apetito.de/ueber-apetito/presse/Meldungen/Seiten/apetito%20Men%C3%BC-Charts%202015%20-%20Bekannte%20Klassiker%20sind%20am%20beliebtesten.aspx
[6] http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/64572/WHO-Behoerde-stuft-rotes-Fleisch-und-Wurst-als-krebserregend-ein
[6a] Pressemitteilung des WHO-Organs IARC: http://www.iarc.fr/en/media-centre/pr/2015/pdfs/pr240_E.pdf
[7] http://www.sueddeutsche.de/news/politik/migration-minister-schmidt-schweinefleisch-gehoert-auf-speiseplan-von-schulen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-160326-99-358096
„, so Schmidt“
das Komma hier würde ich wegtun, da es wenn, dann an die vorige Zeile gehört, wo es durchaus auch fehlen kann
Geb ich Dir Recht. Ein Gedankenstrich wäre da perfekt!