Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 24: „Unter Gesetzlosen: Alle Lebewesen haben ein Recht auf Leben“

Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 24: „Unter Gesetzlosen: Alle Lebewesen haben ein Recht auf Leben“

Kurzzusammenfassung

Beim Lesen des Kapitels beschlich uns ein Déjà-vu. Diese „Argumentation“ hatten wir doch schon? Rechte für Tiere zu fordern ist nämlich total blödsinnig, die können die Rechte ja teilweise gar nicht wahrnehmen und schlimmer: die haben wahrscheinlich noch nicht einmal ein Interesse daran. Denn „beim Sichten der lebendigen Exemplare springt leider ins Auge, dass diese sich […] an die Gurgel gehen“. Daran haben wir natürlich zu knabbern, während wir ein Salatblatt zerkauen.
Die Autoren gehen sogar soweit, dass sie darüber sinnieren, ob Schwertwale nicht auch mal einen Veggietag einschieben könnten. Das wäre ja nur gerecht oder?

An dieser Stelle können wir natürlich schon aufhören, aber warum nicht auch den Rest des Kapitels kurz zitieren? Denn der zeigt in ganz besonderer Weise, wie die Argumentation in diesem Buch funktioniert und setzt euch lieber hin, es wird ungeheuerlich.
Da Schwertwale nun einmal auch andere Tiere essen und der Mensch für sich ja einnimmt, nur ein Tier unter Tieren zu sein, könnte der brutalste Tierquäler sagen: „Ich quäle Tiere, weil ich Lust dazu habe“. Die Konsequenz aus allem ist schließlich, dass Veganerinnen sich nicht beschweren dürften „wenn sie von Tierethikern vergewaltigt(!) oder gar mit jungem Gemüse am Spieß gebraten werden“.
Kommt mit auf unserem letzten Ausflug in die pollmersche Argumentation.

Falls ihr das Projekt: „Don’t go Pollmer“ unterstützen wollt, teilt und likt die Beiträge. Wir sollten dafür sorgen, dass auch bei den Medien bekannt wird, dass Pollmer ein abscheulicher Polemiker ist. Das Zitat von oben ist nur eines unter vielen im Buch, dass an Geschmacklosigkeit kaum zu übertreffen ist.

Kommt auch heute mit ins phantasiereiche Land „Pollmeria“ und lest unseren 24. Beitrag zum gelungensten Veganismus-Buch des Jahres 2015: „Don’t Go Veggie!“

Ihr wisst nicht worum es geht? Hier geht es zur Einleitung und hier geht es zur 23. Tür des Kalenders „Rersöhnungsdusel: Das Vermeiden von Leid eint Tier und Mensch“„.

 „Unter Gesetzlosen: Alle Lebewesen haben ein Recht auf Leben“

Es ist so eine Sache mit den Rechten. Wer fragt, wem Rechte zukommen, fragt auch, wem Rechte nicht zukommen. Die Geschichte ist voll von unterschiedlichen Rechtssystemen und -begründungen. Bekanntlich hatte die meiste Zeit der Geschichte über weder Frauen noch Menschen bestimmter Hautfarbe noch bestimmte religiöse Gruppierungen gleiche Rechte. Auch der biblische Grundsatz „Du sollst nicht töten“ wurde als Nichttötung von Christ*innen ausgelegt, wenn man es entsprechend gebraucht hat. Die Frage nach Rechten, ihre Einbindung in Machtverhältnisse, Diskursformationen und verschiedenen Dimensionen (Juristisch, Philosophisch, Religiös), ist also komplex. Und weil das Thema so komplex ist, reichen den Autoren auch drei Seiten aus.

Das Hauptargument der Autoren lautet: Nur Menschen können nach selbstgewählten Prinzipien handeln und sind dementsprechend besondere Gegenstände moralischer Rücksichtnahme. Nur Menschen können zu bestimmten Handlungen verpflichtet werden, weil sie Verantwortung tragen können. Verpflichtet werden Menschen von – Menschen. Also ergibt sich ein Gebot der Gegenseitigkeit zwischen Menschen, und zwar nur zwischen Menschen. Dass Kinder noch kein Rechtsbewusstsein haben? Nebensächlich, da sie noch eines entwickeln werden, im Gegensatz zu Tieren, die nie eines entwickeln werden. Dass es Menschen gibt, die niemals ein volles Rechtsbewusstsein besitzen und auch niemals besitzen werden? Wird nicht mal erwähnt. Dass sogar unser Rechtssystem eingeschränkte Schuldfähigkeit zugesteht? Wird ebenfalls ignoriert.

Diese Potentialität, mit der die Autoren ihr “Argument” retten wollen, funktioniert eben nicht. Einer Person, die im Rollstuhl sitzt, ist wenig mit dem Verweis geholfen, dass sie potentiell fähig wäre, zu laufen oder dass es zur normalen Ausstattung ihrer Spezies gehöre, laufen zu können. Sie kann es nicht und dies ist der Grund warum die Gesellschaft Rollstühle baut, weil ihre momentane Situation ihr auf andere Weise eine Teilhabe nicht gestattet, weil sie nicht durch “Normalität“ im erwähnten Sinne geprägt ist und weil dies eben nichts damit zu tun hat, ihr deswegen bestimmte Rechte abzusprechen. Es ist also höchst fragwürdig, Rechte und deren Berücksichtigung für Säuglinge einzufordern, weil sie einmal ein Rechtsbewusstsein haben werden, für Demente, weil sie es einmal hatten und für schwer geistig Beeinträchtigte, weil sie es in einem Paralleluniversum hätten haben können. Gerade grundlegende Rechte sind eben nicht an ein Rechtsbewusstsein oder an eine Gegenseitigkeit gebunden.

Aber halten wir uns nicht mit störenden Grenzfällen auf, die den Ansatz der Autoren schon empirisch ad absurdum führen. Fragen wir lieber, was wir generell von der Gegenseitigkeit halten sollen. Ist es plausibel, dass Rechte nur für Menschen gelten, da auch nur Menschen Pflichten übernehmen können? In zweifacher Hinsicht nein: Zum einen sind Rechte eben nicht an Pflichten gebunden, zum anderen wird ein ideeller Begriff des Menschen gesetzt, der nicht haltbar ist.

Wer Rechte hat, der muss nicht zwangsläufig Pflichten übernehmen. Die Autoren wissen das. Darum wechseln sie unlauter von der individuellen auf die kollektive Ebene: Menschen verpflichten sich gegenseitig zu einem bestimmten Handeln, und das können sie, weil sie moralische Akteure (im Gegensatz zu moralischen Objekten) sind. Wir erfahren: „Wer aber alle Pflichten hat, darf selbstverständlich „mehr Rechte“ beanspruchen. So verlangt es das Gerechtigkeitsprinzip“: Das Gerechtigkeitsprinzip könnte natürlich auch verlangen, dass gleiche Interessen gleich berücksichtigt werden, aber wer will sich schon auf alternative Ansätze einlassen. Weil Menschen Pflichten haben, die aus ihrer moralischen Verantwortlichkeit entspringen, haben sie auch mehr Rechte. Wie genau dieser Schluss zusammenhängt, können die Autoren freilich nicht begründen. Aber da der Mensch die Institution des Rechts geschaffen hat, wird es schon seine Richtigkeit haben. Schließlich galten in jeder bisherigen Gesellschaft Rechte für alle Menschen, und es gab niemals Ausschlüsse aufgrund der Hautfarbe, des Geschlechts oder der Religion. Und diese Ausschlüsse wurden auch niemals damit gerechtfertigt, dass Personen, die das Merkmal x erfüllen, weniger vernunftbegabt sind. Nein, in der Vorstellung der Autoren gab es schon immer einfach Menschen, und die ideelle und biologische Bestimmung des Begriffs des Menschen ist eindeutig. Fragen wir dagegen einen der renommiertesten Evolutionsbiologen der Welt, Richard Dawkins:

„Wenn wir alle Tiere in Betracht ziehen, die jemals gelebt haben, und nicht nur die rezenten Tiere, werden Wörter wie Mensch und Vogel an ihren Grenzen geradeso verschwommen und unklar wie die Wörter groß und dick. […] Nicht nur die zoologische Klassifikation wird durch die bequeme Tatsache, daß die meisten Zwischenformen heutzutage ausgestorben sind, vor unangenehmer Zweideutigkeit gerettet. Das gleiche gilt auch für Ethik und Recht der Menschen. Unsere rechtlichen und moralischen Systeme sind zutiefst artgebunden. […] Der letzte gemeinsame Vorfahr von Mensch und Schimpanse lebte vielleicht vor relativ kurzer Zeit, etwa vor fünf Millionen Jahren, definitiv vor kürzerer Zeit als der gemeinsame Vorfahr von Schimpansen und Orang-Utans, und vielleicht 30 Millionen Jahre später als der gemeinsame Vorfahre von Schimpansen und gewöhnlichen Affen. Schimpanse und Mensch haben mehr als 99 Prozent ihrer Gene gemeinsam. Wenn auf einigen vergessenen Inseln irgendwo auf der Welt die Überlebenden aller Zwischenstufen bis zurück zum gemeinsamen Vorfahren von Schimpanse und Mensch entdeckt würden, wer würde daran zweifeln, daß unsere Gesetze und unsere moralischen Konventionen zutiefst beeinflußt würden, besonders, da es vermutlich Paarungen entlang der Skala geben würde? Entweder müßte man der ganzen Skala volle Menschenrechte gewähren (Stimmrecht für Schimpansen), oder es müßte ein ausgeklügeltes Apartheidsystem diskriminierender Gesetze geben und Gerichtshöfe, die darüber entscheiden, ob spezielle Individuen, gesetzlich gesehen, Schimpansen oder Menschen sind; und es würde Leute geben, die sich darüber aufregen, wenn ihre Töchter einen von ihnen heiraten wollten. Die Welt ist wohl bereits so gut erforscht, daß wir hoffen können, diese läuternde Phantasievorstellung tritt nie ein. Aber jeder, der meint, an den Menschenrechten sei etwas Offensichtliches und Selbstverständliches, sollte über das pure Glück nachdenken, daß diese störenden Zwischenstufen zufällig nicht überlebt haben. Wenn andererseits die Schimpansen erst jetzt entdeckt worden wären, würden sie heute als störende Zwischenstufen gelten“.1

Quelle: Wikipedia, David Shankbone

Es ist also gar nicht so einfach mit den Begriffen der Art und des Menschen. Aber selbst wenn wir Rechte auf Tiere erweitern, ergibt sich ein neues Problem: Tiere respektieren sich auch nicht gegenseitig: „Was interessiert die Kuh das Lebensrecht des Grashalms und der Schnecke, die darauf sitzt?“. Es wurde bereits deutlich gemacht, dass Rechte nicht an Pflichten gebunden sind. Für die Autoren aber stürzt damit das ganze tierrechtlerische Ideengebäude zusammen: „Das tierrechtlerische Gleichheitspostulat untergräbt jede Moral“. Richtig, eine platte ethische Gleichheit aller Lebewesen ist nicht haltbar.

Doch findet sich dieses Postulat als elementarer Bestandteil der Tierrechte? Tierrechte bedeuten, dass es Rechte gibt, die nicht gegen andere Interessen aufgewogen werden können. Das Recht eines Schweins auf rein instrumentelle Nutzung wird nicht überwogen durch das Interesse an einem Schnitzel (und hier sollte der Unterschied zwischen moralischen und juridischen Rechten berücksichtigt werden). Doch wo beginnen Rechte? Laut den meisten Tierrechtsansätzen kommen nur jenen Lebewesen direkte moralische Rechte zu, die empfindungsfähig sind. Denn erst mit der Empfindungsfähigkeit spürt ein „Etwas“, das eine Außenwirkung für es selber einen Unterschied macht. Diese Grenze mag empirisch noch nicht deutlich sein, aber vom Prinzip her ist sie viel besser begründet als eine rein speziesistische Bevorzugung des „Menschen“.

1 Dawkins, Richard: Der blinde Uhrmacher – Warum die Erkenntnisse der Evolutionstheorie zeigen, daß das Universum nicht durch Design entstanden ist. München: DTV 2008, S.302 ff.