Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft und die vegane Currywurst
“Warum essen Veganer*innen eigentlich Fleischersatzprodukte, wenn sie kein Fleisch mehr essen wollen? Das ist inkonsequent!” Ganz im Sinne bürgerlicher Freiheit hat der Bundesminister für Ernährung- und Landwirtschaft, Christian Schmidt, – der als Bundesminister selbstverständlich die ganze Bevölkerung vertritt und nicht nur die tiernutzende Industrie – die Forderung aufgestellt, dass vegane und vegetarische Fleischersatzprodukte deutlicher gekennzeichnet werden sollen. Damit geht er auf die Beschwerden tausender Bürger*innen ein, die ein “vegetarisches Schnitzel” beim Einkaufen nicht von einem “Schnitzel” unterscheiden konnten. THE VACTORY begrüßt dieses Zugeständnis an die Verbraucher*innen und möchte entsprechende Ergänzungen liefern.
Sprache und Begriffe wandeln sich beständig. Aus diesem Grund gibt es die wissenschaftliche Disziplin der Historischen Semantik, die genau diese Entwicklungen und historischen Bedeutungen von Begriffen untersucht. Begriffe, die früher eine andere Bedeutung hatten, werden heutzutage in einem völlig anderen Kontext verwendet. Ein Beispiel ist der Begriff „merkwürdig“, der heutzutage nicht mehr etwas des Merkens würdiges, sondern etwas seltsames beschreibt. Sehr deutlich sieht man das auch bei Begriffen, die zum Beispiel Emotionen beschreiben und sich über die letzten Jahrhunderte stark gewandelt haben. Das gilt u.a. für Begriffe wie „Liebe”, “„Freundschaft” „Zorn” und „Ärger” aber auch für den Begriff des Fühlens selbst, der erst im Laufe seiner Entwicklung überhaupt ein emotionales Fühlen beschreibt. Darüber jedoch regt sich niemand auf, warum auch. Es wäre absurd, dahinter eine Täuschungsabsicht zu sehen, zumindest so lange, bis man keine Strategie damit verfolgt, genau das zu unterstellen.
Hinzu kommt, dass Begriffe in der Regel selbst schon mehrdeutig sind. Es gibt, auch wenn der Blick in den Duden etwas anderes suggerieren mag, keine völlige Einheitlichkeit von Begriffen. Die Bedeutung eines Begriffes ist sein Gebrauch, so der Sprachphilosoph Wittgenstein und der kann verschieden sein. Ein Begriff kann also je nach Kontext etwas anderes beschreiben (man denke an die Verwendung von Metaphern). Sprache und Begriffe werden erlernt und dieses Erlernen ist eben nicht ein Erlernen einer einheitlichen Sprache „deutsch”. Es wird gebrochen durch Dialekte und regionale Unterschiede, sozialgruppenspezifische Begriffsverwendungen (Stichwort Jugend- oder Milieusprache), die Eigenheiten des eigenen Freundeskreises, der Familie und der Institutionen, in denen man sich bewegt (Fachsprache). All das kommt im Individuum zusammen und macht dessen Sprache aus, mit der es sich relativ verstehbar verständigen kann und diese Eigenheiten auch in alle anderen Bereiche trägt. Auf diese Weise kann zwar jedes Individuum dazu beitragen, Sprache zu verändern aber bei aller Verschiedenheit ist Sprache trotzdem nicht willkürlich oder durch kann jede einzelne Person willkürlich veränderbar. Eingriffe in die Sprache sind eher als eine Art evolutionäre Entwicklung zu beschreiben, sie muss ja weiterhin durch eine ausreichend große Gruppe verstehbar sein und nicht als autoritäre Setzung, bloß weil einem etwas nicht passt. Das gilt auch für die CSU.
Diese begrenzte Vielfalt ist nun nicht nur möglich, weil in Gruppen oder Epochen Begriffe anders definiert werden, sondern auch, weil Begriffe innerhalb dieser Gruppen und Epochen selbst schon verschiedene Bedeutungen haben (können). So kann der Begriff Salat, den man bei „Fleischsalat“ nicht abschaffen will, sowohl den Salat als Pflanze meinen, als auch eine bestimmte Mischung von Zutaten zum Gericht „Salat“. Deswegen kann es sowohl den Kopfsalat, wie auch den Kartoffelsalat oder eben den Fleischsalat geben.
Gleiches gilt aber auch für „Wurst“ oder „Schnitzel“. So bezeichnet die „Wurst“ eben auch ausdrücklich eine bestimmte Form, eben eine Wurst. Diese Bedeutung für eine bestimmte Form, wird auch in einem ganz und gar unappetitlichen Zusammenhang genutzt. Wieso regt sich darüber niemand auf? Die „gute Wurst“ wird gleichgesetzt mit der, nun ja, „Wurst“ aus dem Teil, in den die „Wurst“ letztlich auch hinein kommt. Welch Skandal! Die Leute könnten dies wohl glatt verwechseln und die Konsequenzen wären in diesem Fall tatsächlich real. Aber warum tun sie das nicht? Nun, weil sie eben differenzierter sprechen, als man ihnen zugestehen will. Weil sie gelernt haben, Sprache kontextgebunden zu verwenden und trotz Vieldeutigkeit und mit dieser Vieldeutigkeit einzusetzen. Das ist der zweite wichtige Punkt: Begriffe sind mehrdeutig, sie sind nicht eindeutig, schon allein deswegen nicht, weil sie mindestens etwas konnotieren, also eine „Nebenbedeutung“ haben, die sich kulturell ergeben kann, durch Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen oder durch die eigene Biografie (zum Beispiel wenn „Dunkelheit“ mit „Gefahr“ konnotiert ist).
Was im Rahmen der hier besprochenen Forderung durch Minister Schmidt geschehen soll ist nichts anderes, als die Bedeutung eines Begriffes einzuschränken, das enge Verständnis einer Gruppe von Personen allen anderen vorzuschreiben. Das geschieht mittels der Behauptung, alle anderen wären ebenso leicht zu verwirren wie die vermeintlich Besorgten. Was aber tatsächlich passiert, ist, dass ein Begriff durch diese Gruppe letztlich selbst neu definiert wird. Wurst dürfe nicht mehr die Form bezeichnen, sondern nur noch ein konkretes Produkt, nämlich ein wurstförmiges Produkt aus Fleisch. Damit aber wird der Begriff eingeschränkt und damit selbst verändert, um damit eine scheinbare Veränderung zu verhindern. Schnitzel bedeutet nicht mehr wie ursprünglich ein abgeschnittenes Stück von etwas, sondern konkret ein Fleischgericht. Verwirrend.
Sprache bildet nun nicht nur die Welt ab, sondern mit Sprache schaffen wir auch unsere die Welt, legen Unterschiede fest und weisen Bedeutungen zu. „Wurst“ oder „Schnitzel“ sollen exklusiver in ihrer Bedeutung werden. Den Grund könnte man darin vermuten, schlicht eine Veränderung des Marktes und des Konsumverhaltens auch auf diesem Wege verhindern zu wollen. Diese Vermutung scheint möglich, weil diese Diskussion gerade jetzt verstärkt geführt wird, in einer Zeit, in der sich Marktanteile zu verschieben scheinen und immer mehr vegetarische und vegane Produkte auf den Markt kommen.
Alles was nun nicht Fleisch ist und damit nicht in die eigene Vorstellung passt, soll nun gezielt anders oder am besten gar nicht mehr, schon gar nicht positiv oder als „altbekannt” oder „vertraut” bezeichnet werden. Es wird nicht mehr oder nur noch schwerer kommunizierbar gemacht und damit aus dem Markt gedrängt werden. Was damit gefordert wird, ist nichts anderes als zu bestimmen, wie etwas zu heißen hat, wie etwas bezeichnet werden darf und in welcher Tradition es steht. Es ist der Versuch, mittels Sprache nicht Verbraucherschutz zu betreiben, sondern Marketing und nicht zuletzt Sprache selbst zu kontrollieren.
Für seine Äußerungen in Bezug auf Fleischimitate hat Schmidt in den sozialen Medien viel Gegenwind bekommen. Viele Kommentare verwiesen auf ähnliche nicht korrekt das Produkt beschreibende Bezeichnungen wie Bärchenwurst, Kinderdöner oder Fleischsalat. Manche forderten die Streichung von C und S aus dem Kürzel CSU, da in der CSU das Christliche und das Soziale schon lange nicht mehr heimisch seien. Und auch Minister Schmidt solle nicht mehr als Politiker bezeichnet werden – man könnte ihn schließlich mit einer kompetenten Person verwechseln.
Wenn man sich das Interview in der Bildzeitung betrachtet, stellt man fest, dass gewisse Vorwürfe an die CSU und die (In)Kompetenz des Herrn Schmidt durchaus ihre Berechtigung haben. Von einem Minister kann man erwarten, dass er sich für die Belange aller Bürger*innen einsetzt. Was Schmidt seit Monaten betreibt, ist dagegen nicht anders denn als Lobbyismus zu bezeichnen – und zwar im schlechtesten und polemischsten Sinne des Wortes. Eindeutiger könnte sich Schmidt gar nicht positionieren und deutlich machen, wessen Minister er ist: Der Minister der Tierindustrie.
Auf die Frage, ob die Diskussionen über eine vegane Ernährung Panikmache seien, antwortet Schmidt: “Nein, ist es nicht. Ich rate dringend von einer veganen Ernährung bei Kindern und Schwangeren ab, denn vegane Ernährung ist Mangelernährung. Es fehlt Eisen, es fehlt Calcium, es fehlt vor allem Vitamin B12. Kinder haben einen Anspruch auf eine ausgewogene Ernährung und dürfen nicht die Leitragenden einer Ideologie ihrer Eltern sein.”
Für Minister Schmidt besteht also nicht nur die Gefahr eines Mangels, sondern dieser wird als Tatsache dargestellt. Ungeheuerlich ist die implizite Unterstellung, vegane Eltern würde sich nicht um das Wohl ihrer Kinder kümmern. Dass es an empirischen Daten fehlt zu einer konstanten Mangelernährung bei vegan erzogenen Kindern – geschenkt.[2] Dass die Medien aus Mangel an Beispielen jährlich ein, zwei Fälle, wo Kinder mit Mandeln und Wasser ernährt wurden, als vegane Gefahr darstellen müssen – geschenkt. Dass eine omnivore Ernährung nicht automatisch gesund ist – geschenkt. Belassen wir es bei einer alternativen Auffassung:
It is the position of the Academy of Nutrition and Dietetics that appropriately planned vegetarian, including vegan, diets are healthful, nutritionally adequate and may provide health benefits for the prevention and treatment of certain diseases. These diets are appropriate for all stages of the life cycle, including pregnancy, lactation, infancy, childhood, adolescence, older adulthood and for athletes.
(Quelle: EatRightPro )
Der Vorwurf der Ideologie ist denn wie immer altbekannt und abgedroschen. Ideologisch sind immer die anderen, wie schon der französische Philosoph Louis Althusser wusste. Merke: Einem Kind einen respektvollen Umgang mit Tieren und der Natur beizubringen: Ideologie. Einem Kind die Tatsachen über die Nutzung von Tieren zu verschweigen, zu McDonalds zu gehen und zu sagen, dass es Fleisch brauche, um groß und stark zu werden: Keine Ideologie.
Dabei ist Erziehung immer schon ideologisch geprägt. Die Vermittlung eigener Werte und Überzeugungen an Kinder findet immer in einem ideologischen Rahmen statt. Aber solange man macht, was alle machen und was schon immer so gemacht wurde [sic!], denkt man, man sei nicht in der Ideologie. Genau diese Annahme aber ist das Wesen der (herrschenden) Ideologie. (Ein Artikel über Ideologie und vegane Kindererziehung ist in Vorbereitung.)
Grotesk und fast schon komisch ist dabei jedoch, dass Minister Schmidt die Widersprüchlichkeit zu seiner eigenen Ideologie nicht auffällt. Ignorieren wir an dieser Stelle, dass sich die Zahl der Menschen, die beim Einkauf ein fleischhaltiges Schnitzel mit einem veganen verwechselt haben, wohl in Grenzen halten wird. Interessant ist folgendes: Unsere liberal-bürgerliche Gesellschaft beruht auf der Annahme des rationalen und mündigen Menschen. Dieser Mensch ist der homo oeconomicus, der für sein eigenes Handeln verantwortlich ist, und genug Informationen besitzt, um eine mündige Entscheidung treffen zu können. Dieser Mensch braucht in dieser Logik keine Lebensmittelampeln und auch keine Bilder von Haltungsbedingungen auf den Verpackungen, denn er ist mündig genug zu wissen, was er kauft.[1] Gleichzeitig wird dieser Mensch aber für so dumm erklärt, eine vegane nicht von einer fleischhaltigen Wurst unterscheiden zu können, obwohl diese Wurst explizit als vegan oder vegetarisch ausgezeichnet ist. Für wie blöd hält uns Minister Schmidt eigentlich? Ein Verbot der Bezeichnung “vegane Wurst”? Gerne. Aber dann bitte auch eine Einführung einer Lebensmittelampel und ein Verbot irreführender Werbung auf Produktverpackungen.
Tatsächlich gibt es Begriffe, die verwirrend sind z. B. die Foodwatch angeprangerten Gemüsefrikadellen (die Fleisch enthalten), Leberkäse ohne Leber und Käse oder Lachsschinken, der gar nicht vom Fisch ist (was viele jedoch tatsächlich denken). Das alles scheint kein Problem zu sein für Schmidt.
Letztlich offenbart Schmidt aber nicht nur seine durch lobbyistische Interessen motivierte Getriebenheit, sondern auch sein rückständiges und konservatives Bild. Wie wir festgestellt haben, ist Sprache stetig im Wandel. Dieser Wandel soll verhindert werden, wo er den Interessen der Tierindustrie zuwiderläuft. So, wie auch der Wandel weg von der Nutzung von Tieren verhindert werden soll. Man hat Angst vor der Veränderung, vor dem Neuen. In einer scheinbar immer komplexer werdenden Welt will man Sicherheiten. „Schnitzel“, „Negerkuss“ oder „Zigeunerschnitzel“ bieten diese Sicherheiten nicht mehr, darum hält man umso mehr an ihnen fest. Doch zeigt gerade die Tierhaltung, dass ein Wandel unvermeidbar ist. Die industrielle Tierhaltung ist keine 150 Jahre alt. Das Verschiffen von Soja als Futtermittel für Tiere dürfte in der Antike ebenfalls unbekannt gewesen sein. Und in ein paar Jahrzehnten, wenn die Ressourcen ausgegangen sind, wird auch die milliardenfache Nutzung von empfindungsfähigen Lebewesen ein Ende haben. Der Feldzug gegen den Veganismus ist ein letztes Aufbäumen gegen den notwendigerweise kommenden Wandel.
Ergänzung: Am 05.01.2017 stellte das Umweltbundesamt die Möglichkeit in den Raum, aus Gründen des Klimaschutzes den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7% auf einige Milch- und Fleischprodukte auf das herkömmliche Niveau von 19% zu heben. Mit den Mehreinnahmen (immerhin 5,2 Milliarden Euro), so der Vorschlag, können im Gegenzug pflanzliche Produkte und öffentliche Verkehrsmittel billiger gemacht werden. Wie nicht anders zu erwarten äußerte sich Christian Schmidt davon nicht begeistert. Er wolle „den Bürgern nicht durch Strafsteuern vorschreiben, was auf den Tisch kommt“. Wie es mit der marktwirtschaftlichen Gleichberechtigung aussieht, wenn tierliche Produkte billiger besteuert werden als pflanzliche, bleibt dagegen offen
[1] Die Ironie in Bezug auf Verpackungen, auf denen z. B. grasende Kühe zu sehen sind, besteht darin, dass diese Werbung bereits Teil der herrschenden Ideologie ist.
[2] Mindestens eine entsprechende Studien, die das Gegenteil belegen, gibt es: „Demnach waren vegane Kinder, die eine optimal zusammengestellte Kost erhielten, zwar leichter und kleiner, aber ihre Werte lagen im Normbereich der nationalen Referenzstandards für die entsprechenden Altersgruppen.“ (Ref. Englert/Siebert, Vegane Ernährung, S. 86, mit Hinweis auf „Physical Growth and Development of Vegetarian Children and Adolescents“, Marcel Hebbelinck and Peter Clarys, CRC Press 2001, Seiten 173-193)
Aktuell läuft (seit Oktober 2016) die VECHI-Studie (Vegetarian and Vegan Children Study – https://www.vechi-studie.de/), welche die hiesige Lebensmittelauswahl berücksichtigt.
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