Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 7: „Gurkentruppe: „Große Vegetarier” sind große Vegetarier“

Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 7: „Gurkentruppe: „Große Vegetarier” sind große Vegetarier“

Kurzzusammenfassung:

Die Autoren schreiben, dass alle Personen, die nicht bei drei auf den Bäumen sind, von VeganerInnen/VegetarierInnen zu berühmten veganen/vegetarischen Vorbildern erklärt werden, obwohl sie es unter Umständen gar nicht sind.

Adventskalender

Ihr wisst nicht worum es geht? Hier geht es zur Einleitung und hier geht es zur sechsten Tür des Kalenders „Unbarmherzig: Wie Tierphilosophen gegen die Lebensfreude zu Felde ziehen„.

„Gurkentruppe: „Große Vegetarier” sind große Vegetarier“

Die Prominenz des Vegetarismus bestehe gar nicht aus Vegetariern.

Was die Autoren hier ankreiden, ist die Aufwertung der eigenen Position oder der Gruppe der Vegetarier mittels „Autoritäten“. Das ist in gewissem Rahmen auch richtig, weil das aber nicht reicht, wird der Einwand mit eine ordentlichen Prise an Überheblichkeit und Herabwürdigung gewürzt, im gewohnt aggressiven Stil. Eine solche Liste muss von einer „Hilfskraft“ erledigt worden sein, was aber eh egal sei, da der Wahrheitsgehalt der „googlegebildeten Gemüseelite“ eh nicht wichtig sei. Und überhaupt sei es doch Schwachsinn, denn dann könnten sich ja auch „Päderasten“ auf die „ollen Griechen“ berufen. Hinzu komme ja noch, dass viele der Aufgeführten gar keine Vegetarier gewesen seien und man sich so „unbekümmert und ohne jeden Skrupel an berühmten intelligenten Menschen vergreife“. Menschen wie Tesla, der Fleischesser gewesen sei. In hohem Alter habe er nur auf Fleisch verzichtet, weil alte Menschen das zähe Fleisch von Zugtieren nicht mehr essen konnten. Und wir wissen, „damals“ gab es ausschließlich das zähe Muskelfleisch alter Zugtiere und sonst nur Gemüse und vielleicht Steine. Die Veganer und Vegetarier können nicht wissen, was ihre „Helden“ damals gegessen haben, sie hätten ja nicht „mit ihnen zu Tisch gesessen“. Pollmer und seine Mitautoren aber bei Tesla schon. Wie sonst sollte man auch die erneut fehlenden Verweise und Quellen für die Aussagen erklären können. Man war halt dabei. Tesla war also intelligent aber kein Vegetarier, dafür aber „überzeugter Säufer“. Er habe Verstand gehabt und konnte ihn sich deswegen „wegsaufen“, ins Gras beißen aber könne jede „noch so dumme Kuh“. Alkoholismus als Witz und Satzverstärkungswörter statt Inhalt.

Nikola Tesla
Nikola Tesla – bekanntermaßen ein Tischgenosse Pollmers, Keckls und Alfs

Aber ernsthaft: Bloß weil eine bestimmte Person Vegetarier*in war, heißt dies noch nichts für den Vegetarismus oder Veganismus. So werden Antiveganer nicht müde, Hitler als vermeintlichen Vegetarier darzustellen. Dass das umstritten ist und dass Mao, Stalin oder Ceausescu keine Vegetarier gewesen sind, spielt für sie dagegen keine Rolle.
Solche Verweise sind damit generell unnötig, denn wichtiger als „Autoritäten“ oder „Helden“, die durchaus inspirierend sein können und natürlich auch das Bedürfnis danach erfüllen, nicht allein mit den eigenen Überzeugungen zu sein, sind Argumente. Und für den Veganismus lassen sich viele gute davon finden, anders als im Buch von Pollmer und seiner Mitstreitern. Wichtig ist auch, dass dieser Punkt gar kein Argument gegen den Vegetarismus oder Veganismus ist, sondern eine Kritik an der Werbestrategie einiger. Nicht mehr und nicht weniger. Das aber zum Kritikpunkt an der Idee zu machen, zeugt eher davon, dass man richtige Argumente wohl gerade nicht vorrätig hat.

Es ist das Merkmal „großer Geister”, dass sie Dinge und Phänomene auf eine Art betrachten und beschreiben, die den meisten Menschen Zeit ihres Lebens abgeht. Es ist der Nachteil großer Geister, dass auch sie sich nicht komplett aus ihren gesellschaftlichen Umständen lösen können und stets auch Kinder ihrer Zeit bleiben. Aristoteles verteidigte die Sklavenhaltung, Kant und Hegel ergaben sich in rassistischen Beschreibungen und Nietzsche sagte über Frauen nicht nur gute Dinge. Diese Zeitgebundenheit sollte uns aber nicht dazu veranlassen, die wichtigen Fragen und Einsichten, die große Denker*innen aufgeworfen haben, zu übergehen und als veraltet abzutun. Wenn wir es mit Philosophie zu tun haben, dann werden entsprechende Einsichten nicht durch das persönliche Verhalten oder Inkonsequenzen ad absurdum geführt. Vielmehr müssen eventuelle Widersprüche geprüft und ins Verhältnis zur heutigen Zeit gesetzt werden.

Zweifelsohne war die Berücksichtigung von Tieren in der Moralphilosophie Schopenhauers ein Fortschritt in der damaligen Zeit. Albert Schweitzer schrieb:

„Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, daß die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, daß ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen. Was sie sich an Torheiten leisten, um die überlieferte Engherzigkeit aufrechtzuerhalten und auf ein Prinzip zu bringen grenzt ans Unglaubliche. Entweder lassen sie das Mitgefühl gegen Tiere ganz weg, oder sie sorgen dafür, daß es zu einem nichtssagenden Rest zusammenschrumpft. Lassen sie etwas mehr davon, so glauben sie dafür weithergeholte Rechtfertigungen, wenn nicht gar Entschuldigungen, vorbringen zu müssen“

Schweitzer, Albert: Kultur und Ethik. München: Beck 1990, S. 317.

Große Vegetarier: Albert Schweitzer

Albert Schweitzer

Ob Aristoteles, Descartes oder Kant – Tiere wurden, wenn sie überhaupt moralisch berücksichtigt wurden, allenfalls durch indirekte Gründe (wie die Verrohung der Menschen durch das Schlachten von Tieren) berücksichtigt.

Schopenhauer nun ist der erste der großen (europäischen) Philosophen, der Tiere explizit und um ihrer selbst willen in seine Moralphilosophie aufgenommen hat. Wir erfahren:

„Die von mir aufgestellte moralische Triebfeder bewährt sich als die ächte ferner dadurch, daß sie auch die Thiere in ihren Schutz nimmt, für welche in den andern Europäischen Moralsystemen so unverantwortlich schlecht gesorgt ist. Die vermeintliche Rechtlosigkeit der Thiere, der Wahn, daß unser Handeln gegen sie ohne moralische Bedeutung sei, oder […] daß es gegen Thiere keine Pflichten gebe, ist geradezu eine empörende Rohheit und Barbarei des Occidents […]“.

Schopenhauer, Arthur: Preisschrift über die Grundlage der Moral. In: Lütkehaus, Ludger (Hg.): Arthur Schopenhauer – Werke in fünf Bänden. Band III. Zürich: Haffmanns Verlag AG 1988, S. 595 f.

Arthur Schopenhauer

Arthur Schopenhauer

Die Berücksichtigung der Tiere gründet in Schopenhauers Auffassung des Mitleids. Das Mitleid ermöglicht als einziges Motiv altruistische Handlungen, denen alleine (im Gegensatz zu egoistischen und boshaften Handlungen) moralischer Wert zukommt. Das Mitleid hebt die Grenze zwischen zwei Individuen auf und beschränkt sich nicht auf Menschen:

„Man muß wahrlich an allen Sinnen blind sein […], um nicht zu erkennen, daß das Wesentliche und Hauptsächliche im Thiere und im Menschen das Selbe ist […]“

Ebd.

Wie die Autoren richtig schreiben, hat Schopenhauer nicht die entsprechenden Konsequenzen daraus gezogen, und war der Auffassung, dass der Verzehr von Fleisch notwendig ist, dass die Tiere aber möglichst sanft getötet werden sollten. Den Autoren nun reicht diese Feststellung – schließlich sehen sie sich in ihrer Auffassung bestätigt. Es wäre ja auch zu viel verlangt, zu prüfen, ob Schopenhauers Argumentation gerechtfertigt ist. Die Begründung des Fleischverzehrs zitieren die Autoren selbst: Im Norden, so Schopenhauer, sei der Mensch auf tierliche Nahrung angewiesen. Es ist erstaunlich, dass ein so großer Kopf wie Schopenhauer sich eines solch schlechten Argumentes bedient, aber es zeigt, dass auch große Geister bei der Rechtfertigung alltäglicher Praktiken und liebgewonnener Gewohnheiten um keine Ausflucht verlegen sind. In der gegenwärtigen globalisierten Welt ist der Hinweis auf eine Notwendigkeit des Tierkonsums jedenfalls absurder und falscher denn je. Schließlich schreibt Schopenhauer direkt im Anschluss:

„Nach dem selben Maßstabe läßt der Mensch das Thier auch für sich arbeiten, und nur das Uebermaaß der aufgelegten Anstrengung wird zur Grausamkeit“

Ebd., S. 602.

Wenn wir davon ausgehen, dass tierliche Produkte und die Nutzung von Tieren heute nicht mehr notwendig sind, dann ist die ganze Tierhaltungs- und Tiernutzungsindustrie als grausam zu bezeichnen.
Die Autoren stellen also korrekt fest, dass Schopenhauer kein Vegetarier oder gar Veganer war, aber inhaltlich können sie wie immer keine Argumente liefern. Denn die Aussagen Schopenhauers werden ja durch seinen Nicht-Vegetarismus relativiert. Wenn Schopenhauer also schreibt:

„Mitleid mit den Tieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, daß man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Tiere grausam ist, könne kein guter Mensch sein“

Ebd., S. 599.

dann braucht man selber nicht zu ergründen, was das für uns heute bedeutet, denn Schopenhauer hat ja selber nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Damit begehen die Autoren genau den Fehler, den sie Vegetarier*innen und Veganer*innen unterstellen: Sie berufen sich auf die Autorität. Und selbstverständlich kommt auch dieser Punkt nicht ohne Widersprüche aus: „Was bei diesen Herren [Pythagoras, Diogenes, Platon] damals wirklich auf den Teller kam, weiß jedoch niemand“. Die Autoren jedoch wissen, dass Schopenhauer „not amused gewesen [wäre], sich zwischen Salatköpfen wiederzufinden“, wie die Autoren ja auch wissen, dass Hitler, Heß und andere Nazigrößen vegetarisch gelebt haben.

Es wäre hilfreich gewesen, hätten die Autoren mal eine andere Schrift von Schopenhauer zu Hilfe genommen: „Die Kunst, Recht zu behalten”. In dieser kleinen Schrift legt Schopenhauer dar, wie man Recht behalten kann, ohne im Recht zu sein. Nun haben die Autoren die ganzen Kniffe unredlichen Argumentierens selbstverständlich verinnerlicht – sonst würde es uns nicht so leicht fallen, die meisten ihrer Punkte zu widerlegen. Das Aufzeigen von Argumentationsformen soll aber dazu dienen, Fehler in der Argumentation zu finden und sich gegebenenfalls selbst zu verbessern. Schopenhauer indessen schämte sich, eine solche Schrift zu veröffentlichen:

„Dergleichen Stratagemata also hatte ich ungefähr vierzig zusammengestellt und ausgeführt. Aber die Beleuchtung aller dieser Schlupfwinkel der, mit Eigensinn, Eitelkeit und Unredlichkeit verschwisterten Beschränktheit und Unfähigkeit widert mich jetzt an; daher ich es bei dieser Probe bewenden lasse und desto ernstlicher auf die oben angegebenen Gründe zum Vermeiden des Disputierens, mit Leuten, wie die meisten sind, verweise”

Schopenhauer, Arthur: Sämtliche Werke. Hg. von Arthur Hübscher. Bd. 4. Wiesbaden: Brockhaus 1972, S. 32. Zitiert nach: Volpi, Franco (Hg.): Arthur Schopenhauer – Die Kunst, Recht zu behalten. Frankfurt a.M.: Insel 1995, S. 13.

Der Vollständigkeit halber ein paar Kunstgriffe, die auch die Autoren des Buches anwenden:
Kunstgriff 8: Den Gegner zum Zorn reizen: denn im Zorn ist er außer Stand, richtig zu urteilen und seinen Vorteil wahrzunehmen. Man bringt ihn in Zorn dadurch, daß man unverhohlen ihm Unrecht tut und schikaniert und überhaupt unverschämt ist.
Beispiel: „Der Aufenthalt in einem modernen Maststall wäre für KZ-Häftlinge das reinste Paradies gewesen.” (S. 151.)

Kunstgriff 18: Merken wir, daß der Gegner eine Argumentation ergriffen hat, mit der er uns schlagen wird; so müssen wir es nicht dahin kommen lassen, ihn solche nicht zu Ende führen zu lassen, sondern beizeiten den Gang der Disputation unterbrechen, abspringen oder ablenken, und auf andre Sätze führen: kurz eine mutatio controversiae zu Wege bringen.
Beispiel: Kapitel 49

Kunstgriff 24: Die Konsequenzmacherei. Man erzwingt aus dem Satze des Gegners durch falsche Folgerungen und Verdrehung der Begriffe Sätze, die nicht darin liegen und gar nicht die Meinung des Gegners sind, hingegen absurd oder gefährlich sind: da es nun scheint, daß aus seinem Satze solche Sätze, die entweder sich selbst oder anerkannten Wahrheiten widersprechen, hervorgehn;
Beispiel: Kapitel 54

Kunstgriff 28: Dieser ist hauptsächlich anwendbar, wenn Gelehrte vor ungelehrten Zuhörern streiten. Wenn man kein argumentum ad rem hat und auch nicht einmal eines ad hominem, so macht man eines ad auditores, d. h. einen ungültigen Einwurf, dessen Ungültigkeit aber nur der Sachkundige einsieht; ein solcher ist der Gegner, aber die Hörer nicht: er wird also in ihren Augen geschlagen, zumal wenn der Einwurf seine Behauptung irgendwie in ein lächerliches Licht stellt: zum Lachen sind die Leute gleich bereit; und man hat die Lacher auf seiner Seite. Die Nichtigkeit des Einwurfs zu zeigen, müßte der Gegner eine lange Auseinandersetzung machen und auf die Prinzipien der Wissenschaft oder sonstige Angelegenheit zurückgehn: dazu findet er nicht leicht Gehör.
Beispiel: Kapitel 52 (Ausführungen zu Singer)

Kunstgriff 32: Eine uns entgegenstehende Behauptung des Gegners können wir auf eine kurze Weise dadurch beseitigen oder wenigstens verdächtig machen, daß wir sie unter eine verhaßte Kategorie bringen, wenn sie auch nur durch eine Ähnlichkeit oder sonst lose mit ihr zusammenhängt: z. B. » […] das ist Atheismus; das ist Rationalismus […]« – Wir nehmen dabei zweierlei an: 1. daß jene Behauptung wirklich identisch oder wenigstens enthalten sei in jener Kategorie, rufen also aus: oh, das kennen wir schon! – und 2. daß diese Kategorie schon ganz widerlegt sei und kein wahres Wort enthalten könne.
Beispiel: Kapitel 61

Kunstgriff 36: Den Gegner durch sinnlosen Wortschwall verdutzen, verblüffen.
Beispiel: Das gesamte Buch. 😉

Letzter Kunstgriff: Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob. […] Beim Persönlichwerden aber verläßt man den Gegenstand ganz, und richtet seinen Angriff auf die Person des Gegners: man wird also kränkend, hämisch, beleidigend, grob. […] Diese Regel ist sehr beliebt, weil jeder zur Ausführung tauglich ist, und wird daher häufig angewandt.
Beispiel: “Doch Schopenhauer wäre not amused gewesen, sich zwischen Salatköpfen wiederzufinden.” (S. 12.)

Lesetipps

Nietzsche, Friedrich: Unzeitgemäße Betrachtungen. (Online unter URL: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Nietzsche,+Friedrich/Unzeitgem%C3%A4%C3%9Fe+Betrachtungen ; letzter Zugriff: 03.12.2016 )

Schopenhauer, Arthur: Preisschrift über die Grundlage der Moral. In: Lütkehaus, Ludger (Hg.): Arthur Schopenhauer – Werke in fünf Bänden. Band III. Zürich: Haffmanns Verlag AG 1988.

Tetens, Holm: Philosophisches Argumentieren. 2. Auflage. München: Beck 2006.

Volpi, Franco (Hg.): Arthur Schopenhauer – Die Kunst, Recht zu behalten. Frankfurt a.M.: Insel 1995. (Online unter URL: http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-kunst-recht-zu-behalten-4994/1 ; letzter Zugriff: 03.12.2016.)

Achte Tür des Adventskalenders

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