Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 18: „Killerphrase: Jäger sind Mörder“

Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 18: „Killerphrase: Jäger sind Mörder“

Kurzzusammenfassung:

Heute beschäftigen wir uns mit dem schwierigen Thema der Jagd. Die Autoren um Udo Pollmer meinen, dass uns die Wildtiere ohne Jagd die Haare vom Kopf fressen und „sich über alles her[machen], was Veganer gerne auf dem Teller haben“. Jäger*Innen schützen uns und Deutschland, denn ohne diese wäre Deutschland zwar ein schönes Naturschutzgebiet, aber auch eine harte Wildnis, in der auf den Äckern nichts mehr wachsen würde, die „Wildschweinplage fände mangels Nahrung ein natürliches Ende, und die Tollwut breitete sich wieder aus“. Tobias hat sich dem Thema Jagd fundiert angenommen und herausgekommen ist ein absolut lesenswerter Artikel.
Kommt abermals mit auf eine abenteuerliche Reise in die pollmersche Logikkette und lest unseren siebzehnten Beitrag zum gelungensten Veganismus-Buch des Jahres 2015: „Don’t Go Veggie!“

Ihr wisst nicht worum es geht? Hier geht es zur Einleitung und hier geht es zur siebzehnten Tür des Kalenders „Wunschdenken: Tiere sind unsere Freunde„.

„Killerphrase: Jäger sind Mörder“

Das Töten ist des Jägers Lust

Wir kennen die Selbstbeschreibung von Jäger*innen: Jagen sei kein Spaß, Töten keine Lust. Vielmehr sei die Jagd notwendig zur Regulation der Wildbestände. Würden die Wildtiere nicht bejagt werden, so würden sie die landwirtschaftlichen Flächen zerstören. Die Artenvielfalt könne ebenfalls nur durch die Jagd gewährleistet werden und Wälder können ebenfalls nur durch die Tötung der Wildtiere durchmischt bleiben.
Soweit, so ungut. Natürlich führen auch die Autoren viele der genannten Argumente ins Feld und versäumen es, auch nur ein kritisches Wort über die Jagd zu verlieren. Ganze 1 1/2 Seiten ist ihnen die Komplexität der Jagd wert, wobei der erste Absatz lediglich Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“ und Kaplans Bewertung einer Interpretation des Stückes enthält. Quellen finden sich außer zu Kaplan in diesem Kapitel überhaupt keine.

Die Jagd – Ökologisch notwendig?

Das Hauptargument der Jagd ist bekannt: Sie ist notwendig, um die Bestände zu regulieren. Auch die Autoren blasen in dieses Horn. Würden Rehe und Hirsche nicht mehr bejagt, „verschwänden die Mischwälder rasch aus unserer Kulturlandschaft, weil die Tiere mit Vorliebe junge Tannen und Laubbäume verspeisen“. Zwar geben die Autoren zu, dass eine Fütterung der Tiere in winterlichen Notzeiten stattfindet, doch sei dies nur im Sinne der Tiere, denn wer ein „Recht auf Leben“ fordere, der dürfe die Tiere nicht sterben lassen, ohne sich zugleich als Tierquäler zu outen. Wir erfahren: “Jäger hegen und retten weit mehr Individuen, als es die Natur zulassen würde“. Die Jäger*innen als utilitaristische Glücksoptimierer, die so viele glückliche Individuen wie nur möglich ins Leben bringen! Allein, wir können den Autoren ihre Liebe zu den bejagten Tieren nicht glauben und werden das Gefühl nicht los, dass hier auch die Wildtiere nur für fragwürdige Zwecke instrumentalisiert werden.
Schauen wir uns die amtliche Jagdstatistik an: 2004/05 wurde 1’081’416 Rehwild getötet, 2014/15 1’139’536; 2004/2005 wurde 476’402 Schwarzwild getötet, 2014/2015 520’623; 2004/05 wurden 162’096 Wildkaninchen getötet, 2014/2015 241’036. Diese Auswahl zeigt, dass trotz der Jagd die Bestände zugenommen haben.

„Was Segeln der Wünsche durch luftige Höh! Was bildendes Träumen im blühenden Klee! Was Hoffen und Bangen, was Schmachten, was Weh! Und rauscht nicht die Erde in Blüten und Duft? Und schreitet nicht Hörnerklang kühn durch die Luft? Und stürzet nicht jauchzend der Quell von der Kluft? Drum jage du frisch auch dein flüchtiges Reh durch Wälder und Felder, durch Täler und See, bis dir es ermüdet im Arme vergeh!“ Joseph von Eichendorff, Der Jäger

Wie lässt sich der Anstieg des erlegten Wildes erklären? Mutet es nicht komisch an, dass die Tiere sich scheinbar immer weiter vermehren, obwohl immer mehr von ihnen erlegt werden? Fragen wir einen ausgewiesenen Jagdexperten – der sich selbst explizit nicht als Jagdgegner bezeichnet –, so zeigt sich, dass gerade die Jagd dazu führt, dass immer mehr Tiere geboren werden. Die Bestandsentwicklung einer Spezies lässt sich in drei Phasen gliedern: die Verzögerungsphase, die Wachstumsphase und die Stabilisierungsphase. In der Verzögerungsphase sind nur wenige Exemplare einer Art vorhanden und eine Regulation wäre noch möglich, da eine Tötung nachhaltig den Bestand dezimieren würde. Nach der relativ schnell durchlaufenden Wachstumsphase kommt die Stabilisierungsphase, bei der die Individuenanzahl zwar fluktuiert – durch das entsprechende Nahrungsangebot und entsprechende Witterungsverhältnisse –, aber relativ groß ist. Im Unterschied zur Verzögerungsphase, wo die Abschüsse die Entwicklung einer Art aufhalten können, sind die Abschüsse in der Stabilisierungsphase für das Fortbestehen der Art so gut wie irrelevant. Im Gegenteil: Die Abschüsse sorgen dafür, dass die Bestände in einen Zustand intensiven Wachstums versetzt werden und somit die Fortpflanzung der Tiere angekurbelt wird. Die Jagd reguliert nicht, sie fördert im Gegenteil das Wachstum der Tiere!

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=xeknVbfzT_w

Wir sehen also, dass die Jagd keine Probleme löst, sondern erst welche schafft. Das ist auch den Autoren bewusst, wenn sie schreiben, dass „für einen gesunden Bestand zu sorgen“ bedeute, dass es „mit Bejagung unterm Strich mehr Wild gibt als ohne“. Durch die Jagd gibt es mehr Wild, und gleichzeitig wird argumentiert, dass das Wild die Landwirtschaftsflächen und die Tannen und Laubbäume zerstöre. Zynischer geht es kaum.
Aus ökologischer Sicht also sind die Argumente für die Jagd nicht haltbar. Die Jagd reguliert den Bestand nicht, sondern sorgt für immer mehr Tiere. Andere Optionen wie die Bestandsregulation durch unfruchtbar machendes Futter, Zäune um die Landwirtschaftsflächen oder ausgewiesene Schutzgebiete junger Bäume werden erst gar nicht erwogen. Die Jagd ist keine ultima ratio, sondern das Gebot der Stunde. Dabei geben die Autoren selbst zu, dass die Tiere angefüttert werden (in „winterlichen Notzeiten“), so dass eine natürliche Regulation der Tiere nicht möglich ist. Doch zeigt das Beispiel des Kantons Genf in der Schweiz, in dem die Jagd seit 1974 verboten ist, dass Artenschutz und Regulation durchaus auch ohne Jagd möglich und sogar noch viel nachhaltiger sind.

Die Jagd: Liebe zur Natur und zu den Tieren?

Doch stellen wir uns die eigentlich entscheidende Frage: Warum werden Menschen zu Jäger*innen? Wir kennen die Rechtfertigungen der Jäger*innen und haben sie als haltlos zurückgewiesen. Es mag zweifellos so sein, dass es Jäger*innen gibt, die an diese Argumente glauben. Aber ebenso rückt ein anderes Motiv in den Vordergrund, das zuzugeben nicht so einfach möglich ist. Es handelt sich um die Lust am Töten. Wir können nicht auf psychologische Fachliteratur zurückgreifen, die die Aussagen von Jäger*innen systematisch auf die Freude am Töten hin untersucht hätte – denn wer würde schon zugeben, Spaß am Töten zu haben? Zwar gibt uns die anekdotische Evidenz recht, aber nicht alle Jäger*innen sind so offenherzig wie diese Dame:

„Ich finde das für mich sehr schön, dass ich mit einer geladenen Waffe auf dem Hochsitz sitzen kann und es in meinem Ermessen liegt, ob ich jetzt schieße oder nicht. Das finde ich für mich ganz toll.“
„Was sind das für Gefühle, die da bei Ihnen aufkommen?“
„So Machtgefühle irgendwie.“

Die Jagd ist ein Trend. 374’100 Jagdscheine waren 2015 gelöst, 63’000 mehr als im Jahr der Wiedervereinigung. Besonders Frauen haben zunehmend Freude an der Jagd. Die Gründe reichen von der Hundebeschäftigung bis zu einer näheren Naturerfahrung. Joggen oder Spazierengehen können nicht dieselbe Naturnähe vermitteln wie 20 Stunden auf dem Hochsitz zu verbringen. Auch hier stehen also nicht die Tötungen im Vordergrund, sondern die Naturerfahrungen. Klingt das nicht romantisch? Der Mensch im Einklang mit der Natur. Fernab von verschmutzten Städten, Autolärm, grellen Werbebotschaften und Menschenmassen sitzt das Individuum in eine Decke gehüllt auf einem Hochstand, lauscht den Dialogen der Vögel, beobachtet das Spielen junger Tiere und erlebt eine tiefe Resonanzerfahrung mit der Natur, die fast schon religiös anmutet. Und nebenbei rettet das Individuum auch noch die Landwirtschaftsflächen und die Mischwälder. So zumindest hat man sich die Jagd vorzustellen, wenn man dem Selbstbildnis der Jäger*innen glaubt.
Doch wird bei dieser Selbstbeschreibung etwas vergessen: Die Tötung eines Tieres. Wir können der Selbstbeschreibung nicht mehr so recht glauben, wenn wir an Trophäenjagden denken.1 Bei Treib- und Drückjagden kommen viele Jäger*innen zusammen, hetzen teilweise Hunde in Fuchs- oder Dachsbauten – was zu tödlichen Kämpfen zwischen diesen führt – und erlegen nebenbei etliche Rehe, Hirsche, Wildschweine, Hasen usw. Diese werden dann aufgereiht und ausgestellt. Ist diese Ausstellung durch einen Respekt vor der Natur zu erklären? Oder handelt es sich nicht viel mehr um ein Gefühl der Freude, so viele tote Tiere vor Augen zu haben? Und auch der/die einzelne Jäger*in hat meistens Schädel von Tieren bei sich zu Hause hängen. Handelt es sich dabei nicht um Stolz, Tiere getötet zu haben? Ein Stolz, der keinen Respekt ausdrückt, sondern Überlegenheitsgefühle?

Ein Zufluchtsort, um mit sich selbst und der Natur im Einklang zu sein. Und einem empfindungsfähigen Tier das Leben zu nehmen.

Wir müssen fragen, wie der Respekt vor der Natur und vor Tieren mit der Jagd einhergehen sollen. Wir müssen antworten, dass das nicht möglich ist. Jäger*innen töten Tiere, weil sie Spaß daran haben, weil es ihnen ein Gefühl der Macht gibt. Die jagende Person setzt sich nicht 20 Stunden auf einen Hochstand, um die Natur zu erfahren. Jedenfalls nicht hauptsächlich. Das Ziel ist von Anfang der Tod, die Tötung eines empfindungsfähigen Lebewesens. Die Jäger*innen rühmen sich, die Tiere schmerzfrei zu töten, manchmal sogar ohne, dass das Tier etwas mitbekommt, da der Schuss bereits wirkt, bevor der Schall das Tier überhaupt erreicht hat. Diese Beschreibung ist alles andere als korrekt. Viele Tiere werden nicht mit dem ersten Schuss getötet, viele Tiere können fliehen und leiden dann unter ihrer Wunde, was bis zu einem tagelangen Todeskampf führen kann.

Die Aussage der Notwendigkeit der Bestandsregulierung ist das ideologische Pendant zur Aussage der Notwendigkeit des Fleischkonsums. Man sagt nicht, dass es einem egal ist, dass Tiere getötet werden, weil man sie essen möchte – man bedarf einer Rechtfertigung, an die man selber glaubt. Dabei tut man nur, was man immer getan hat, und sucht sich erst später seine Gründe. So auch mit der Jagd. Die Lust am Töten ist ursprünglich. Man rechtfertigt es freilich vor sich selbst durch die Bestandsregulierung. Oder durch die Naturnähe. Doch kommt man mit anderen Jagenden zusammen, stellt die toten Tiere aus und sammelt die Knochen als Trophäen.

Indes, der/die Jäger*in erzeugt größere Abneigung als die herkömmliche fleischessende Person, denn seine Tat ist aktiv. Während der gemeine Fleischesser „nur“ ein totes Stück Tier isst, tötet die jagende Person aktiv ein Tier. Dies ist befremdlich, da wir uns zugleich fragen, wie ein Mensch verfasst ist, der Lust daran hat, ein Tier zu töten, und dies nicht, wie Schlachter*innen, mit wirtschaftlichen Gründen rechtfertigen kann (ein Jagdschein ist im Gegenteil sehr teuer).

1 Die Grenze zwischen der Großwildjagd und unserer heimischen Jagd ist fließend. Zwar sind die Rechtfertigungen jeweils unterschiedlich und bei der Großwildjagd wird weniger ein Hehl daraus gemacht, dass es um den Spaß am Töten geht, aber beide Jagden lassen sich in ihren Motiven auf das Gefühl der Macht und die Lust am Töten zurückführen. Freilich macht es für das einzelne Individuum einen Unterschied, wie die Jagd gerechtfertigt wird. Tom Angelripper – Sänger und Bassist der Thrash-Metal-Legende Sodom – sieht z.B. keinen Widerspruch darin, sich gegen die Jagd auf Löwen auszusprechen, aber gleichzeitig selbst zu jagen:

“I saw the documentary Blood Lions. There are some hunters out there paying thousands of dollars to kill a male lion. These lions are canned, so it is not dangerous for the hunter to shoot them. I am a hunter too, but I select some of the deers, stags and boars in my own hunting district to keep control of the population. Also, I like the meat, but I would never pay so much money just for a huge trophy. This killing business is horrible. I hate it. This “hunting” has nothing to do with expertly hunting” (http://decibelmagazine.com/blog/2016/9/22/qa-sodoms-tom-angelripper-on-decision-day ; letzter Zugriff: 17.12.2016).

Die Unterscheidung der Rechtfertigung der Großwildjagd und der hiesigen Jagd erinnert dabei an eine Aussage Paul Watzlawicks. Dieser verweist auf eine Scherzfrage der Anthropologin Margaret Mead, was denn der Unterschied zwischen einem Russen und einem Amerikaner sei. Die Antwort: Der Amerikaner neigt dazu, Kopfweh vorzutäuschen, um nicht auf eine Party gehen zu müssen, während der Russe tatsächlich Kopfweh haben muss, um nicht auf die Party gehen zu müssen. Watzlawick resümiert:

“Der Amerikaner erreicht zwar seinen Zweck, weiß aber, daß er schwindelt. Der Russe dagegen bleibt in Harmonie mit seinem Gewissen. Er hat die Fähigkeit, ganz nach Bedarf einen Entschuldigungsgrund herbeizuführen, der ihm nützlich ist, ohne aber zu wissen (und ohne dafür verantwortlich zu sein), wie er es schafft. Seine rechte Hand weiß sozusagen nicht, was seine Linke tut. (Watzlawick, Paul: Anleitung zum Unglücklichsein. 24.Auflage. München: Piper 2002, S. 32.)