Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 12: „Weltfremd: Wer Tiere wirklich liebt, tötet sie nicht“

Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 12: „Weltfremd: Wer Tiere wirklich liebt, tötet sie nicht“

Kurzzusammenfassung:

In diesem Kapitel beschäftigen sich die Autoren damit, dass auch für das vegane Essen Tiere sterben müssen  – nämlich bei der Ernte und bei der Lagerung. Da dies ein Widerspruch ist, sollten wir stattdessen den Metzger loben, denn der tötet die Tiere wenigstens fachgerecht.

Ihr wisst nicht worum es geht? Hier geht es zur Einleitung und hier geht es zur elften Tür des Kalenders „Fromme Lüge: Vegan essen ist kein Verzicht, sondern wahrer Genuss„.

„Weltfremd: Wer Tiere wirklich liebt, tötet sie nicht“

Das Grundprinzip des Veganismus lautet: „Durch das eigene Verhalten den Schaden in Bezug auf empfindungsfähige Lebewesen soweit wie möglich minimieren.“ Dieses Prinzip drückt sich in dem Verhalten aus, keine tierlichen Produkte zu konsumieren, ist mit diesem aber nicht identisch. Die Ablehnung tierlicher Produkte ist kein Zweck an sich, sondern das Ergebnis des leitenden Prinzips, möglichst wenig Leid zu verursachen. Der Vorwurf, für eine vegane Lebensweise würden auch Tiere sterben, tangiert also nicht das Grundprinzip. Ebenso erkennt die vegane Lebensweise den Unterschied an, ob ein Tier direkt getötet wird oder indirekt. Nur aus einer rein konsequentialistischen Perspektive freilich macht es keinen Unterschied, ob die Tötung eines Tieres ein Zweck ist oder ein Mittel. Weiterhin ist Veganer*innen bewusst, dass eine 100 % tierleidfreie Lebensweise (derzeit) nicht möglich ist. Sie ziehen aber daraus nicht den Schluss, dass man damit einen Freifahrtschein hat, um so viele Tiere wie möglich zu töten. Soviel zu den Grundvoraussetzungen der veganen Lebensweise. In diesem Kapitel nun zeigen uns die Autoren, dass auch für vegane Nahrungsmittel Tiere getötet werden und nennen uns auch gleich eine ethisch bessere Alternative: Nutztiere.

Wieder einmal müssen sich Vegane von Nicht-Veganen über den Veganismus belehren lassen: „Nach einer populären Definition sollte man nichts essen, was Augen hat und was man streicheln kann“. Nun sterben für Früchtemüsli aber „süße Streicheltiere“: Obstbäume müssen gegen Schermäuse verteidigt werden, Flocken werden in Getreidesilos gelagert, die im Herbst Mäuse und Ratten magisch anziehen, die ebenfalls vernichtet werden müssen. Dies alles geschieht unter der Heimtücke, dass das Gift, das zur Vernichtung der Tiere eingesetzt wird, mit Verzögerung angreift. Lassen wir mal außer acht, dass es nicht weniger heimtückisch ist, ein Schwein oder ein Rind zur Schlachtbank zu schicken, so konstatieren die Autoren richtig: Auch für vegane Lebensmittel müssen Tiere sterben. Die unausgesprochene Schlussfolgerung: Vegane sind Heuchler*innen.
Vegane sollten sich lieber ein Beispiel am Metzger nehmen: „Wer Tiere liebt, würde den Metzger loben: Dieser hat gelernt, Vieh schnell und praktisch schmerzfrei zu töten“. Dem Autor dieses Artikels war bisher nicht klar, dass man seine Liebe auch dadurch zum Ausdruck bringen kann, indem man den Gegenstand der Liebe tötet. Er dachte vielmehr, dass, wer solche Freunde hat, keine Feinde mehr braucht, oder dass pathologische Liebe zur Tötung führen kann. Aber man lernt ja nie aus. Die unterstellte praktische Schmerzfreiheit der Tiere kann ebenfalls nur als zynisch und empathielos verstanden werden, wurde doch erst kürzlich wieder deutlich, dass viele Schweine ohne ausreichende Betäubung geschlachtet wurden, und dass diese Vorfälle keine Einzelfälle sind. Auch geht der Schlachtung in der Massentierhaltung immer eine furchtbare Haltung voraus. Aber wir erfahren nichts von tausenden Tieren, die auf engstem Raum zusammengepfercht sind, deren Schnäbel kupiert werden, damit sie sich aus Platzmangel nicht gegenseitig anpicken, oder deren Hoden ohne Betäubung entfernt werden, nur, damit sie besser schmecken. Nein, das ist kein milliardenfaches Leiden im Sinne des Geschmackes – das ist ein Ausdruck von Liebe!

Alles oder nichts: Kein gutes Prinzip der praktischen Ethik

Doch zurück zu unserem Tu quoque. Wie bereits geschrieben, macht es ethisch durchaus einen Unterschied, ob man ein Tier direkt tötet oder nicht, ob die Tötung des Tieres Zweck ist oder nur Mittel. Dies ist der Fall, wenn man die Tierhaltung mit der Tötung von „Schädlingen“ vergleicht. Wir haben es also mit zwei verschiedenen Szenarien zu tun, die ethisch auch unterschiedlich betrachtet werden müssen. Die Verwerflichkeit der einen Handlung rechtfertigt nicht die Verwerflichkeit der anderen. Doch auf einem konsequentialistischen und egalitären Standpunkt ist alles gleich: Ein Tier ist ein Tier ist ein Tier. Es macht dann keinen Unterschied, ob man ein Schwein tötet oder einen Borkenkäfer. Von konkreten gesellschaftlichen Bedingungen wird sowieso abstrahiert: Vegane kritisieren durchaus die industrielle Produktion und die maschinelle Ernte, bei der Millionen Wildtiere getötet werden. Wenn wir den Autoren mit Wohlwollen begegnen, dann liefern diese sogar in diesem Kapitel eine Gesellschaftskritik: Die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Entfremdung von Tieren und deren Reduktion auf „Schädlinge“ und Waren gehört abgeschafft. Doch ist zu bezweifeln, dass die Autoren diese Konsequenz ziehen würden.

Betrachten wir zum Abschluss noch ein paar Fakten und Argumente. Die Autoren unterstellen, dass für das Müsli Wildtiere sterben müssen, während Schweine und Rinder quasi durch Luft alleine leben können, um dann freudig vom Schlachter getötet zu werden. Doch müssen auch „Nutz“tiere ernährt werden. Und diese werden u. a. mit Pflanzen ernährt. Der/Die geneigte LeserIn ahnt es bereits: Die Ernte dieser Pflanzen funktioniert ebenfalls nicht ohne (Wild-)Tierleid. Das in Silos gelagerte Getreide, das die Autoren ansprechen, dient ebenfalls als Futtermittel. In diesem Sinne aber sterben für eine omnivore Ernährung nicht nur Milliarden „Nutz“tiere, sondern auch Milliarden von Wildtieren, da die Fütterung der „Nutz“tiere ein Vielfaches an Pflanzen benötigt. So landen 80% des weltweiten Sojas in der Tierhaltung. 1 Nun hören wir schon den Einwand, dass für Dauergrünland aber andere Verhältnisse herrschen! Nun, mal davon abgesehen, dass Schweine, Hühner oder Fische von Gras alleine nicht ernährt werden können, bekommen auch Rinder nicht nur Grünfutter. Ebenfalls ist es ein Mythos, dass für die Pflanzenernte mehr Wildtiere getötet werden würden als für die Weidehaltung. Auch die Landwirtschaft ist sich darüber im Klaren, dass bei der Ernte Tiere getötet werden und gibt sogar Anleitungen, wie bei der Grasernte Wildtiertötungen minimiert werden können.
Wollen wir nun also unsere Hände in Unschuld waschen und uns selbstgefällig auf die Schulter klopfen, indem wir sagen, dass zwischen der direkten und indirekten Tötung eines Tieres nun mal ein Unterschied bestehe und dass für eine omnivore Lebensweise noch viel mehr Wildtiere getötet werden? Nein. Wir wollen vielmehr ein Leiden nicht gegen ein anderes ausspielen und nicht dem „Alles oder nichts“-Prinzip folgen. Was wir brauchen, ist eine gesamtkritische Haltung, die die heutige speziesistische Gesellschaft an sich hinterfragt und auch die industrielle Produktion, bei der empfindungsfähige Lebewesen „Schädlinge“, „Stücke“ oder „Schnitzel“ sind.

1 Sojamehl ist nicht, wie oft behauptet, nur ein Abfallprodukt der Sojaölproduktion. Sojaöl ist zwar teurer, als Sojamehl, hat aber einen deutlich geringeren Anteil an der Sojabohne, weshalb mit Sojamehl fast doppelt so viel Gewinn erwirtschaftet werden kann.

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