Das Grillen ist des Mannes Lust – Über Speziesismus und Sexismus am Grill

Das Grillen ist des Mannes Lust – Über Speziesismus und Sexismus am Grill

Suchte man einen Ort, an dem die Ideologien und die Mythologien des Speziesismus und des Patriarchats heute einen eindrücklichen Ausdruck finden – beim Grillen würde man ihn finden. Kaum ein Ort hat eine größere Symbolkraft als der Grill. Wir finden in ihm die Kämpfe unserer Zeit repräsentiert: Klimawandel, Gleichheit der Geschlechter, Genuss, Gemeinschaft, Umgang mit Tieren.

Freilich, für die herrschende Ideologie zeichnet sich das Bild des Grills recht einfach: Wie in Urzeiten sammeln sich Menschen um eine Feuerstelle. Die Männer kümmern sich um das Erlegen und Braten des Tieres, die Frauen passen auf die Kinder auf und sammeln Gemüse.

Dieses Bild ist weniger etwas, das tatsächlich so geschieht – einmal abgesehen davon, dass heute nicht mehr gejagt wird -, sondern etwas, das die herrschende Ideologie absichern soll. „Lasst uns normale Leute doch mit eurem Körnerfraß und eurem Gender Mainstreaming in Frieden! Frauen können gerne grillen, aber bitte nicht das Fleisch. Das ist Männersache. Und natürlich gehört auf einen Grill ein ordentliches Stück Fleisch. Alles andere ist für barfüßige Salatfresser.“

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich gerne grille. Ich treffe mich gerne mit Leuten, haue meine Tofubratwurst und mein Gemüse auf den Grill und esse dazu Tsatsiki. Ich wurde gefragt, warum ich das Grillen mag. Ich kann es nicht wirklich erklären. Mir gefällt die Atmosphäre, die Naturnähe, die alternative Art der Essenszubereitung, die Gemeinschaftlichkeit. Es geht in diesem Artikel aber nicht darum, warum Grillen toll ist, sondern warum es problematisiert werden muss.

Grillen ist Ideologie. Grillen ist Moral. Wer behauptet, dass man Essen nicht moralisieren sollte – und dieser Vorwurf wird vegan lebenden Menschen oft gemacht -, verkennt, dass Essen immer eine moralische Komponente hat. Und eine ideologische. Um es einfach zu sagen: Wer ein Stück Fleisch auf den Grill schmeißt und denkt, nicht ideologisch zu sein, ist nur umso mehr in der Ideologie befangen.

Fleisch auf einem Grill
Während wir uns über Veganer*innen lustig machen und der Auffassung sind, Essen sei Privatsache, werden in Paraguay Wälder für zu exportierendes Rinderfleisch und Soja (als Tierfutter) gerodet.

Betrachten wir das im Detail. Denn besonders beim Grillen zeigt sich, wie sehr gewisse Unterdrückungsformen und diskriminierende Verhältnisse zusammenhängen.

Wer grillt, grillt nicht einfach. Gegrillt wird in einem bestimmten Rahmen. Es nehmen bestimmte Leute daran teil, es gibt eine bestimmte Rollenverteilung, es gibt bestimmte Lebensmittel, die zubereitet werden, es gibt bestimmte Arten, wie diese Lebensmittel zubereitet werden. Es wird Fleisch gegrillt, Fisch, Gemüse, Obst; es werden Salate serviert und Saucen; man grillt im Garten oder im Park; in der Familie oder mit Freund*innen.

Die herrschende Ideologie nun ist ziemlich leicht zu dechiffrieren: Gegrillt wird Fleisch. Und zwar von einem Mann. Wer sich nicht auf die eigenen Erfahrungen verlassen möchte, dem sei diese Edeka-Werbung empfohlen:

Das Bild ist eindeutig: Der Mann grillt Fleisch, die Frau Gemüse. Interessant ist dabei dennoch, dass hier eine Art Schuld zu legitimieren versucht wird: Die Frau tritt als Über-Ich auf – als Instanz der Moral, als guter Engel –, während der Mann das Es repräsentiert – als jemand, der den eigenen Genuss über das „Richtige“ stellt, als böser Teufel –, aber durch die augenzwinkernde Aufmachung des Clips eine Absolution erfährt.

Das offenbart nicht nur etwas über Edeka, sondern auch über unsere Gesellschaft. Eine andere Werbung von Edeka erhielt sehr viel Zuspruch. Edeka schrieb zu einer Kritik daran:

Edekas Statement zu seinem Grill-Werbespot

Man muss Edeka eines lassen: Das Marketingteam hat sehr gute Arbeit geleistet. Es war doch alles nur als ein Scherz bzw. so nicht gemeint. Das kennt man so auch von der AfD. Erst mal ein paar Grenzen austesten, und wenn man über das Ziel hinausschießt, wird relativiert. Aber es ist mehr als nur eine gelungene Marketingaktion von Edeka. Es charakterisiert unser ideologisches und sexistisches und speziesistisches System in seinem Kern: Jeder hat eine bestimmte Rolle zu spielen. Und wer diese Rolle nicht erfüllt, verliert einen Teil seiner Identität. Der Mann muss am Grill stehen und Fleisch zubereiten, sonst ist er kein Mann. Die Frau muss in der Küche stehen und den Salat zubereiten, sonst ist sie keine Frau. Das Tier muss auf dem Grill liegen, sonst verliert es seine naturgegebene Bestimmung.

Um das Fleisch werden Ideale aufgebaut, wie die Welt ist und wie sie sein soll. Es wird dargestellt, wie ein Mann zu sein hat, wie sich eine Frau zu verhalten hat. Man wirft dem Veganismus vor, in die Essgewohnheiten anderer eingreifen zu wollen. Aber darzustellen, dass Frauen Gemüse grillen und Männer Fleisch, greift viel tiefer in die Identität von Menschen ein.

2012 ging eine drei Jahre alte, preisgekrönte Werbeanzeige viral:

Werbung Maredo
Quelle: http://www.casparheuss.com/158350/maredo

Und: Du bist doch nur Vegetarier, weil Du Dich am Buffet nie durchsetzen konntest.
Auch wenn Maredo nach eigener Aussage diese Werbung nie beauftragt oder genehmigt hat, so reproduziert sie doch ein bestimmtes Bild: Damit werden Menschen abgewertet, die Tofu essen oder schwul sind. Als echter Mann isst man keinen Tofu. Un
d als echter Mann hat man nicht schwul zu sein. Und wenn Du vegetarisch isst, bist Du zu schwach. Ein echter Mann ist nicht schwach. Er setzt sich durch. Damit wird ebenso die Konkurrenzlogik des Kapitalismus reproduziert. Der Mann wird stilisiert als Held, der sich den “Ideologien” [sic!] des Veganismus und der Gleichberechtigung widersetzt. Die Naturromantik ist da nicht weit. Von diesem Ideal bleibt allerdings nicht mehr viel übrig, wenn der Mann das Steak abgepackt im Supermarkt kauft und den Grill ebenso. Für den Männlichkeitsmythos bleibt also nicht mal mehr, ein Tier selber zu töten. Der Mann von heute muss sich damit begnügen, überhaupt Fleisch auf einen Grill zu werfen, um ein Mann zu sein. Die Rezepte lässt er sich dabei noch von sexistischen Grillbüchern liefern, die ihm sagen, wie er grillen muss, wenn er ein richtiger Mann sein möchte.

Sexistischer Spruch: Vegetarfier, die kein Fleisch essen, abe rWQurst aus Tofu, erinnern mich an Lesben, die keine Männer brauchen, aber Penise [sic!] lutschen... aus Plastik.
Sexistischer Spruch, Quelle: www.mademyday.cc
Zugegeben, es steht viel auf dem Spiel. Es geht um die Identität als Mann. Als Frau. Als soziales Mitglied. Als Fleischesser*in. Daher der Hass auf alles andere, selbst dann, wenn das andere sich schweigend verhält. Die Anwesenheit eines Feministen trifft andere in ihrer Identität. Ebenso wie die Anwesenheit eines Veganers. Man lebt also nicht einfach vegan und/oder fordert Geschlechtergleichberechtigung. Man stellt herrschende Muster in Frage. Das vergeben einem die Menschen nicht. Sie wollen nicht nachdenken. Sie wollen ihre gewohnten Werte nicht hinterfragen, schon gar nicht, wenn so viele positive Gefühle damit verknüpft sind.

Das Absurde daran ist, dass es dem individualistischen Anspruch unserer Gesellschaft zuwiderläuft. Das Individuum und dessen Freiheit wird bei uns hochgehalten. Gleichzeitig werden Individuen sanktioniert, wenn sie bestimmte gesellschaftliche Muster durchbrechen wollen. Der Anspruch des Neoliberalismus scheitert an dem Herdentrieb der Menschen innerhalb dieser Gesellschaft. Man darf anders sein, aber nicht ZU anders. Man darf abweichen, aber nur soweit, wie die herrschende Ideologie das erlaubt. Man darf entscheiden, Steak oder Schnitzel zu essen, aber nicht, kein Fleisch zu essen. Das ist die Erzählung der neoliberalen Ideologie. Das ist der Mythos des Patriarchats. Individualität ja, aber nur innerhalb bestimmter Grenzen.

Grotesk ist demnach nicht, dass Menschen sich einen Webergrill kaufen für 700 Euro, aber Nackensteaks für 4 Euro das Kilo. Grotesk ist, dass Männlichkeit und Weiblichkeit am Grill ausgefochten werden. Das unterläuft geradezu den neoliberalen Anspruch, dass jede/-r nach der eigenen Façon selig werden soll. Gesellschaftliche Zwänge bestimmen Menschen in ihrem Handeln. Und das wird kaum deutlicher als am Grill.

Lasst uns grillen. Lasst uns zusammenkommen und eine gute Zeit haben. Aber lasst uns nicht darüber schwadronieren, dass Essen frei von Ideologie und Moral ist. Denn genau diese Auffassung führt dazu, dass Millionen empfindungsfähiger Lebewesen getötet werden, nur, weil sie schmecken, und dass Menschen diskriminiert werden, weil sie ein bestimmtes Geschlecht haben.

Weiterführende Literatur:

[1] Carol J. Adams – “The sexual politics of meat”
[2] Carol J. Adams – “The pornography of meat”

6 Kommentare

  1. T

    Interessanter Artikel, aber zwei Anmerkungen:

    „Die Männer kümmern sich um das Erlegen und Braten des Tieres, die Frauen passen auf die Kinder auf und sammeln Gemüse.“
    War das wirklich so? Ich halte das für einen Mythos.

    „Die Steakhauskette Maredo hat geworben mit“
    Das ist nicht richtig. Eine Agentur hatte die Kampagne für Maredo entworfen (und damit auch einen Preis abgeräumt), die Werbung wurde von Maredo aber nicht geschaltet. Soll nicht heißen, dass Meredo nicht scheiße ist.

    1. Tobias

      „War das wirklich so? Ich halte das für einen Mythos.“
      Eben. Das ist der Punkt. Dass es eine nachträgliche Erzählung ist, die man kaum prüfen kann, und die nur der herrschenden Ideologie in die Hände spielt.

      „Das ist nicht richtig.“
      Danke für den Hinweis. Wir haben es entsprechend überarbeitet.

  2. Ireene

    I really enjoyed your talk at the International Animal Rights Conference, Tobias. 🙂 Have you written anything in English? My German is unfortunately too basic but I would really like to know more about this subject.

  3. Tobias

    Hi Ireene,

    thank you for participating. I am glad that you liked my presentation.
    Unfortunately, I have not written anything in english yet. But we are thinking about an „english-section“ within The Vactory.

    As for my article: The point that I am trying to make is that a BBQ seems to be free of ideology. But the opposite is true. When it comes to BBQ’s, we can find ideology and intersectionality at its best: People proclaim the old notions of the male being, who hunts (an animal) and the female being as the one who takes care of the children. In this sense men are the ones who rule over the grill, who eat meat, while the women make salad and do not grill. This, that is my claim, is patriarchal and speciesist.
    And there are some advertizes that reproduce this notion (as shown in the pictures).

    I highly recommend the books of Carol J. Adams, especially „The sexual politics of meat“.

    Thank you and hopefully we will meet again.
    Tobias

    1. Ireene

      Thank you! Looking forward to read something in English from you. And hopefully you’ll be making another presentation next year at Luxembourg. 🙂

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