Weihnachten – das Fest der Liebe – für alle?

Weihnachten – das Fest der Liebe – für alle?

Das Fest der Liebe – für alle?

Weihnachten. Das Fest der Liebe. Die Menschen kommen zusammen, um in fröhlicher und besinnlicher Runde eine schöne Zeit miteinander zu verbringen. Die Kinder können die Zeit der Bescherung kaum erwarten und die Erwachsenen erfreuen sich an leckerem Braten oder köstlichem Fondue. Nach dem Essen wird gemeinsam gesungen und das Jahr resümiert. Auch wenn sich die Mehrheit längst von dem christlichen Ursprung des Weihnachtsfestes entfernt hat, so wird zumindest das Gebot der Nächstenliebe zur Weihnachtszeit wiederentdeckt. Viele Menschen spenden Geld oder materielle Sachen oder gedenken derjenigen, die es die es im Gegensatz zu den meisten deutschen Bürger*innen nicht so gut haben. Doch nur die wenigsten denken dabei auch an diejenigen, die nicht nur an Weihnachten, sondern das ganze Jahr über ein unwürdiges und leidvolles Leben führen müssen. Die Rede ist von den Tieren, die in Gestalt ihrer Körper und Produkte als Essen auf unseren Tellern und auf unserer Haut landen.

Allein in Deutschland verlieren jedes über 750 Millionen Tiere (Meerestiere ausgenommen) ihr Leben, weil sie so gut schmecken. Deutschland rühmt sich damit, eines der besten (= am wenigsten schlechten) Tierschutzgesetze der Welt zu haben1. Und auch wenn die Tiere in den Mast- und Schlachtanlagen tatsächlich “Vernunft” erfahren2, so werden doch nicht ihr “Leben und Wohlbefinden” geschützt und ihre Bedürfnisse immer durch wirtschaftliche Interessen beschnitten.

Ein geschütztes Leben besteht darin, die eigenen Bedürfnisse ausleben zu können und nicht am Ende eines viel zu kurzen und leidvollen Lebens gewaltsam getötet zu werden. Auch auf einem Biohof werden Tiere gehalten und geschlachtet. Beides steht den Interessen der Tiere fundamental entgegen. Die meisten von uns wissen, dass die massenhafte Tötung von Tieren zu ihrem Verzehr in der jetzigen Form inakzeptabel und unmoralisch ist. Dennoch stammt der überwältigende Anteil der Tierprodukte aus der Massentierhaltung – insbesondere bei Schweinen und Geflügel.

Der Umgang mit “Nutztieren” in unserer Gesellschaft

Gerade zur Weihnachtszeit sollten wir uns der Tatsache des Leidens der Tiere wieder bewusst werden. Viele Menschen, insbesondere Kinder, werden an das Leiden der Tiere bildhaft erinnert, wenn ein Tier in Gestalt eines Bratens vor ihnen liegt. Gänse und Hühner können noch ohne größere Probleme verzehrt werden, aber spätestens bei einem Kaninchen kommt ein Widerspruch zum Tragen, der kennzeichnend ist für unseren Umgang mit Tieren: Die einen essen wir, die anderen umsorgen wir. Im Kaninchen ist dieser Widerspruch maximal, denn das Kaninchen ist zugleich Spielgefährte, Nahrungsgeber und Kleiderlieferant. Die Empörung ist groß, wenn in einigen Teilen Chinas Hunde gegessen werden, aber der Sturm der Entrüstung bleibt aus, wenn täglich tausende Schweine, Rinder und Hühner getötet werden. Dabei wissen Verhaltensbiologen längst, dass z. B. Schweine intelligenter sind als Hunde und sich auf der geistigen Stufe eines dreijährigen Kindes befinden.

Spielgefährte, Braten oder Kleidung?

Im Angesicht der massenhaften Tötung von Tieren zum Verzehr ihres Fleisches überrascht es nicht, dass auch ihre Erzeugnisse und ihre Arbeitskraft verwertet werden. Neben Fleisch stehen selbstverständlich Eier und Milch auf unserem Speiseplan, wir tragen Leder und Wolle. Die Bedingungen der Erzeugung dieser “Produkte” sind ähnlich schlecht wie bei der Fleischproduktion. Milchkühe sind so gezüchtet, dass sie ein Vielfaches ihrer natürlichen Milchleistung geben. Sie werden geschlachtet, wenn sie nicht mehr rentabel sind. Damit sie fünf ode sechs Jahre Milch geben können, müssen sie jährlich ein Kind gebären3. Dafür werden die Kühe künstlich besamt und ihnen wird nach jeder Geburt ihr Kalb weggenommen, damit wir ihre Milch trinken können. Auch hier entsteht entsetzliches Leid für diese hoch sozialen Tiere. In der Eierproduktion wird jedem Huhn ein Freiraum in der Größe eines A4-Blattes zugestanden4.  Die männlichen Küken – in Deutschland ca. 50 Millionen pro Jahr – werden vernichtet5, weil sie keine Eier legen können und damit unrentabel für das Geschäft sind. Sowohl in der konventionellen Haltung als auch in der Freiland- und Biohaltung werden Hühnern die Eier weggenommen, damit sie fast täglich ein neues legen – pro Jahr immerhin 300 Stück6 -, was eine enorme Belastung für die Hühner darstellt.

Den wenigsten ist bewusst, dass die Erzeugung tierischer Produkte sich nicht nur negativ auf die Tiere selbst auswirkt. Wir schlendern über den Weihnachtsmarkt, essen Bratwurst und Gulaschsuppe, kaufen Leder und Wolle. Zugleich bedenken wir nicht, unter welchen Bedingungen diese Produkte hergestellt wurden. Kinderarbeit, miserable Arbeitsbedingungen, Kontakt zu giftigen Chemikalien (die dann in der Kleidung landen, die wir tragen); unter prekärsten Bedingungen arbeitende und in Massenunterkünften untergebrachte ausländische Arbeiter in der inländischen Fleischproduktion, Vertreibung der Kleinbauern in Lateinamerika zur Produktion von Soja, das unsere Nutztiere als Futter bekommen – das alles ist die Realität der massenhaften Nutzung von Tieren. Längst ist der Einfluss der Tierhaltung auf den Klimawandel bekannt, die gesundheitlichen Folgen eines zu hohen Konsums tierischer Produkte ebenfalls. Dennoch wird dadurch deutlich, dass die Nutzung von Tieren nicht nur die jährlich weltweit über 60 Milliarden geschlachteten Tiere (Wassertiere ausgenommen) betrifft, sondern ebenso unsere Umwelt, Menschen in anderen Ländern und letztlich auch uns selbst.

Die Verantwortung der Konsumierenden

Wir könnten uns damit beruhigen, die geschilderten Bedingungen schlecht zu finden und nur Fleisch und tierische Produkte aus „artgerechter“ Haltung und vom Bauern nebenan zu konsumieren. Wir könnten auch zugestehen, die Praktiken schlecht zu finden, jedoch zu dem Schluss gelangen, dass wir als Einzelne sowieso nichts ändern können. Aber wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass schlussendlich jede Haltung und Nutzung von Tieren deren fundamentalem Interesse eines würdevollen und leidfreien Lebens entgegensteht und dass ein vergleichsweise großer Freiraum von beispielsweise 20 Quadratmeter für eine Kuh, ein Schwein oder ein Huhn immer noch ein Leben in Begrenzung bedeuten und ohnehin nicht denjenigen Bedingungen entsprechen, die den Tieren bei der “Produktion” der meisten tierischen Lebensmittel zugestanden werden. Und trotz des größeren Auslaufs steht am Ende der Zucht der frühzeitige Tod.

Wir alle, das heisst jeder und jede Einzelne von uns, unterstützen mit dem Kauf tierlicher Produkte das Leid von Tieren. Auch wenn Politik und Wirtschaft in der Verantwortung stehen, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Leben und Wohlergehen der Tiere geschützt werden, so wird sich nichts ändern, solange sich das Bewusstsein der Bevölkerung nicht verändert. Das ist die Verantwortung, die jeder und jede Einzelne von uns in dem Prozess der Nutzung von Tieren trägt.

Was aber nützt alles Moralisieren, was nützen alle Fakten und Statistiken im Angesicht des wohlschmeckenden Fleisches, der leckeren Wurst, der köstlichen Plätzchen, der chicen Lederschuhe? Es kann nur eine Lösung geben, und diese besteht darin, sich gerade auch an Weihnachten daran zu erinnern, dass die Speise auf dem Teller und die Kleidung auf der Haut einst fühlende und leidens Individuen gewesen sind. Denn eines sollte uns allen bewusst sein: Auch zum Fest der Liebe wird kein Tier tot gestreichelt.

Wer möglichst leidfreie Weihnachten feiern möchte, dem sei die sehr gute Rezeptseite vom Vegetarierbund empfohlen:

https://vebu.de/saison/weihnachten/

Fußnoten

1 “Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.” (https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html ; letzter Zugriff: 10.12.2016)

2 Die heutige Tierhaltung ist insofern “vernünftig”, als die milliardenfache Tötung und Nutzung von Tieren nur durch effiziente Mittel zu erreichen ist. Vernunft bezeichnet nicht zwangsläufig “gute Zwecke”, sondern die Erreichung bestimmter Zwecke unter Einsatz bestimmter´, möglichst effizienter, Mittel. Eine Vernunft, die ihre eigenen Zwecke nicht mehr reflektiert, haben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer “instrumentelle Vernunft” genannt. “Dem Menschen gehört die Vernunft, die unbarmherzig abläuft; das Tier, aus dem er den blutigen Schluß zieht, hat nur das unvernünftige Entsetzen, den Trieb zur Flucht, die ihm abgeschnitten ist. Der Mangel an Vernunft hat keine Worte. Beredt ist ihr Besitz, der die offenbare Geschichte durchherrscht. Die ganze Erde legt für den Ruhm des Menschen Zeugnis ab. In Krieg und Frieden, Arena und Schlachthaus, vom langsamen Tod des Elefanten, den primitive Menschenhorden auf Grund der ersten Planung überwältigten, bis zur lückenlosen Ausbeutung der Tierwelt heute, haben die unvernünftigen Geschöpfe stets Vernunft erfahren.” (Adorno, Theodor W.; Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung. 21. Auflage. Frankfurt a.M.: Fischer 2013, S. 262.)

3 Die Milch einer Kuh ist Muttermilch. Weibliche Säugetiere geben nur dann Milch, wenn sie ein Kind geboren haben.

4 Legehennen:

Kleingruppenhaltung: 800 – 900 cm² pro Henne (900 cm² wenn über 2 kg)
Bodenhaltung: 556 cm² pro Henne (mehrstöckig)
Bodenhaltung: 1111 cm² pro Henne (einstöckig)
Freilandhaltung Stall: siehe Bodenhaltung
Freilandhaltung Auslauf: 40.000 cm² pro Henne (4 m²)
Bio, Stall: 1667 cm² pro Henne
Bio, Auslauf: 40.000 cm² pro Henne
(Quelle: Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V.)
Siehe auch: http://www.tierwohl-staerken.de//fileadmin/user_upload/news/Tierwohl-Magazin.pdf (s. 13)

5 Dabei ergibt sich auch gleich die Bestätigung, dass Vernunft instrumentell verstanden wird. Im Tierschutzgesetz heißt es, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Für das Oberverwaltungsgericht Münster liegt bei der Tötung der männlichen Küken ein vernünftiger Grund vor: “Die Aufzucht der ausgebrüteten männlichen Küken sei für die Brütereien mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand verbunden, lautet die Urteilsbegründung”.

6 http://www.tierwohl-staerken.de//fileadmin/user_upload/news/Tierwohl-Magazin.pdf (S. 7)

3 Kommentare

  1. Kwan Yin

    Super Artikel. Mich freut besonders, dass Ihr ohne Polemik auskommt.

    1. Tobias

      Danke für die positive Rückmeldung!
      Dieser Artikel ist tatsächlich nicht polemisch. Bei den „Don’t go Pollmer“-Artikeln ist das leider nicht immer möglich. 😉