[Inside Activism] Street-Interviews mit Davis

[Inside Activism] Street-Interviews mit Davis

In der Inside-Activism-Serie erklären Aktivist*innen Aufbau, Planung und Durchführung jeweils einer der vielen möglichen Aktionsformen im Engagement gegen Karnismus und Antispeziesismus.

Viele unserer Follower kennen Davis bereits aus der Meme-Reihe Selbstgespräche. Heute ist er bei uns im Inside-Activism-Interview und erzählt uns von der letzten größeren Aktion seiner Gruppe.

Davis, stell Dich doch mal kurz vor. Wer bist Du, was machst Du, wie bist Du zum Veganismus gekommen? Davis – Vegan Aktiv Züri
Hallo! Ich bin Davis, 24 Jahre jung, komme ursprünglich aus Deutschland, studiere Energie- und Umwelttechnik und arbeite nebenbei als Bartender. Ich lebe derzeit in Zürich und bald seit 4 Jahren vegan. Angefangen hat dies damit, dass ich auf ein Video namens «Das Geschäft mit dem Tod» [TW] aufmerksam wurde, welches die Umstände zeigt, unter denen Schweine in der deutschen Tiermast leben müssen. All die Jahre davor hatte ich mir nie besonders viele Gedanken zum Thema Vegetarismus oder Veganismus gemacht, und kritische Fragen zum Tierproduktkonsum meist verdrängt. Das Video traf mich allerdings wie ein Schlag, kurze Zeit später wurde ich Vegetarier. Nach weiterem Informieren wurde mir aber klar, dass ich lediglich durch das Weglassen von Fleisch in meiner Ernährung nicht die Ziele erreichen würde, die ich erreichen wollte. Denn auch durch die Herstellung anderer Tierprodukte leiden Tiere und Umwelt, sodass ich mich für eine komplett vegane Lebensweise entschied. Darüber bin ich bis heute froh.
Du bist im Tierrechtsauftrag recht umtriebig – was machst Du alles so?
Meine Aktivismus-Tätigkeit begann, als ich je einen Youtube– und Facebook-Channel erstellt hatte, auf welchen ich selbstgemachte Videos und Bilder zum Thema Veganismus teilte. Nachdem ich nach Zürich gezogen war, lernte ich viele andere Aktivist*innen kennen, die als «Vegan Aktiv Züri» regelmäßig Flyer am Hauptbahnhof verteilen und Passant*innen auf das Thema Veganismus aufmerksam machen, schloss mich ihnen an, und bin dort nun seit über einem Jahr tätig.
Heute soll es ja um Eure Street-Interview-Aktion gehen. Was hat es damit auf sich?
Vor einiger Zeit sah ich ein Youtube Video von «Earthling Ed», welcher in Strasseninterviews Passant*innen zum Thema Veganismus befragt. So etwas wollte ich auch einmal ausprobieren, und ging mit ein paar der «Vegan Aktiv Züri»-Aktivist*innen durch Zürich. Das Ziel der Aktion war, den Befragten durch geschicktes Fragenstellen die eigene Inkonsequenz bei der Behandlung von Tieren vor Augen zu führen, und sie gleichzeitig über die Folgen eines nicht-veganen Lebensstils aufzuklären.
Hattet Ihr, also die beteiligten AktivistInnen, bereits Erfahrung mit ähnlichen Aktionen? Wart ihr nervös oder seid ihr es eher gelassen angegangen?
Da wir regelmässig in Zürich Flyer über Veganismus verteilen, sind wir es gewohnt, auf Leute zuzugehen und mit ihnen zu diskutieren.
Am Anfang waren wir schon nervös, denn im Gegensatz zum Flyerverteilen am Bahnhof, wo die Menschen sowieso an einem vorbeigehen und der Kontakt meist kurz ausfällt, muss man für eine Interview-Aktion gezielt Leute ansprechen, die dann eventuell schlecht gelaunt reagieren können. Nach dem Beginn des Gesprächs legte sich das aber meistens, und nach ein paar Interviews wurden wir deutlich gelassener.
Wie habt Ihr im Vorfeld Euren Einsatz durchgeplant? Wie sollte das Ganze strukturiert werden?
Das Interview sollte so ablaufen, dass zuerst eine knappe Anzahl an Grundfragen gestellt wird, die später zu einer offenen Diskussion führt. Als Vorbereitung planten wir also diese Grundfragen, die lauten:

  1. Was halten Sie vom Thema Tierquälerei?
  2. Wie definieren Sie Tierquälerei?
  3. In Artikel 4, Satz 2 des Schweizer Tierschutzgesetzes steht «Niemand darf ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde missachten.» Stimmen Sie dieser Aussage zu?
  4. Wie lange leben Sie schon vegan?

Auch auf übliche Antworten und Gegenfragen, die im Laufe des Interviews auftreten könnten, haben wir uns sinnvolle Gegenantworten überlegt. Des Weiteren mussten eine Kamera und ein Mikrofon organisiert werden. Da wir beides für die spontan geplante Aktion nicht hatten, entschieden wir uns für Smartphone-Kameras. Entsprechend mäßig war die Tonqualität, aber das war für einen ersten Versuch völlig ausreichend.

Wieviele Personen waren (von Eurer Seite) in die Aktion involviert?
Insgesamt vier. Wir haben uns in zwei Gruppen geteilt, so dass abwechselnd die eine Person das Interview führen und die andere filmen kann. Wobei die Person, die mich filmte, selber keine Interviews führen wollte, und deswegen nicht zu sehen ist.
Und dann geht es also los. Wie läuft die Aktion ab?
Zuerst müssen potentielle Interview-Partner*innen gefunden und angesprochen werden.
Wir wollten in Hinsicht auf Geschlecht und Alter möglichst unterschiedliche Personen befragen, damit wir einen besseren Eindruck der Gesamtsituation haben. Allerdings waren an dem Tag, an dem wir die Interviews durchführten, aufgrund des Wetters nicht allzu viele Leute unterwegs, sodass wir eh keine grosse “Auswahl” hatten, und immer die nächstbeste Person ansprachen, die uns über den Weg lief.
Gefilmt werden sollte erst, sobald die Person zu dem Interview und des Gefilmt-Werdens zugestimmt hat. Dabei sollte auf Nachfrage auch wahrheitsgemäß darüber geantwortet werden, dass das Video evtl. online verbreitet wird.
Dann folgen die Grundfragen des Interviews. Spätestens ab der letzten Frage dürften die Befragten (sofern sie nicht tatsächlich vegan leben) verwundert sein und selber beginnen Fragen zu stellen, oder Ausreden für ihr Verhalten zu nennen. Dann beginnt die eigentlich interessante Phase: Die offene Diskussion. Um nicht belehrend zu wirken, sollten vor allem Fragen gestellt werden. Dies hat auch zur Folge, dass die Personen von selbst auf die Schlussfolgerungen kommen und sie eher bereit sind, ihr Handeln zu verändern. Mehrminütiges Informieren sollte vermieden und wenn notwendig kurzgehalten werden.

Wie war das Feedback der Personen nach dem Interview?
Sehr unterschiedlich, aber grundsätzlich bereits im Gespräch vorauszusehen. Jene, die sich schon im Interview uninteressiert zeigten, hatten auch hinterher keine Rückfragen oder Anmerkungen, während jene, die im Interview einige inneren Konflikte oder “Aha!”-Momente hatten, sich anschliessend positiv über die Aktion äusserten, zugaben, dass sie (und auch der Rest unserer Gesellschaft) mehr über das Thema mehr nachdenken müssen, und gerne Informationsmaterial annahmen. Insgesamt also positiv!
Wenn das Videomaterial im Kasten ist – wie geht es weiter?
Am Ende des Interviews kann den Befragten Infomaterial gegeben werden. Sind ausreichend viele Interviews für ein oder mehrere Videos aufgenommen, müssen diese zusammengeschnitten und bei Bedarf mit Untertiteln versehen werden.
Für das Zusammenschneiden habe ich den kostenlosen Windows Movie Maker genommen, der in seinen Funktionen zwar eingeschränkt ist (z.B. hat man nicht mehrere Bildebenen, kann also kein Bild einblenden während das ursprüngliche Video darunter weiterläuft), ist aber für die Aufgabe völlig ausreichend. Die Untertitel habe ich auch dort eingefügt, was ich im Nachhinein aber lieber bei Youtube direkt machen werde: dort kann man dann Untertitel für mehrere Sprachen einstellen, diese als Datei exportieren und die dann auch für den Upload bei Facebook verwenden.
Dies ist eine recht langwierige Arbeit und sollte nicht unterschätzt werden! Für mein erstes, etwa 15-minütiges Video habe ich über 10 Stunden Editier-Arbeit investieren müssen. Anschließend habe ich das fertige Video auf Youtube und Facebook hochgeladen. Früher habe ich meine BEEV Videos lediglich bei Youtube hochgeladen und bei Facebook nur den Link geteilt, mittlerweile aber erfahren, dass bei einem direkten Upload viel mehr Menschen das Video zu Gesicht bekommen. Da Youtube und Facebook bezüglich Videos im Grunde Konkurrenten sind, werden Youtube-Links bei Facebook ausgebremst.
Wie waren Feedback und Resonanz zu dem Video auf den Social-Media-Plattformen?
Während in meinem Youtube-Kanal eher Stille herrschte, schlug das Video auf Facebook für meine Verhältnisse ziemliche Wellen. Üblicherweise erreiche ich mit meinen Bildern und Videos 500-2000 Leute; das Street Interview erreichte über 34.000 Personen, wurde 14.000 Mal angeschaut, erhielt über 160 Likes und Reaktionen, und wurde fast 200 Mal geteilt! Auch in den Kommentaren wurde die Aktion gelobt, und einige Freunde und Bekannte haben mich anschließend darauf angesprochen.
Was sind etwaige Fallstricke bei so einer Aktion? Auf was muss man sich einstellen und wie ist zu reagieren?
Die Aktivist*innen müssen sich von vornherein darauf einstellen, dass nicht besonders viele Personen überhaupt zu einem Interview zustimmen werden, das sollte aber nicht demotivieren. Die befragten Personen können sehr unterschiedlich reagieren. Wir hatten das Glück, dass die «schlimmsten» Fälle einfach desinteressiert und/oder uninformiert waren, aber defensives bis aggressives Verhalten kann natürlich auch auftreten. Es ist vermutlich überflüssig zu sagen, dass in so einem Fall die Ruhe bewahrt und das Gespräch abgebrochen werden sollte. Damit man in einer Diskussion am Ende nicht selbst als der/die Dumme dasteht, muss der Interviewer sich gut informieren!
Was sind Deiner Einschätzung nach die Voraussetzungen, die AktivistInnen für diese spezielle Aktionsform mitbringen sollten?
Da diese Aktion eine direkte Konfrontation mit Fremden mit sich bringt, sollte eine gewisse Extrovertiertheit und Selbstsicherheit vorherrschen. Die fragenstellende Person sollte nicht nur gut informiert sein, sondern auch flexibel sein, was die Argumentation angeht. Rhetorisches Geschick und ein wenig Schlagfertigkeit sind von Vorteil. Was selbstredend kontraproduktiv wäre, ist belehrendes bis dogmatisches oder aggressives Auftreten.
Wie war das Gefühl in der Truppe hinterher? Plant Ihr eine Wiederholung?
Wir hatten nicht nur den Eindruck, dass die Aktion sehr konstruktiv abgelaufen ist, sie hat uns zusätzlich noch viel Spaß bereitet! Darum wollen wir sie auf jeden Fall wiederholen. Studium und andere persönliche Gründe lassen uns aber derzeit keinen gemeinsamen Termin finden. Darum haben wir die Idee, bei von Vegan Aktiv Züri durchgeführten Standaktionen immer wieder mal spontan ein Interview oder zwei zu führen, so dass sich weiteres Videomaterial ansammelt.
Gibt es noch etwas, das Du anderen VeganerInnen mitgeben möchtest?
In vielen Teilen unserer Gesellschaft herrscht noch immer das Bild dogmatischer, schlecht gelaunter und missionarischer Veganer*innen vor. Auch wenn die meisten Veganer*innen, die ich bisher kennenlernen durfte, diesem Vorurteil ganz sicher nicht entsprechen, solltet ihr euch vor Augen halten, dass ihr für die befragte Person ein_e Botschafter*in und ein Beispiel für den Veganismus seid. Überlegt euch, welcher vegan lebenden Person ihr als Nicht-Veganer*in gerne begegnet wärt, und seid diese Person!