[Newsflash] SPON: „Veggie-Boom lässt nach“

[Newsflash] SPON: „Veggie-Boom lässt nach“

Der Spiegel verkündete am 8. Dezember in seinem Onlineangebot das Ende des Veggie-Boom!
Wie SPON zu diesem Schluss gelangt, wollen wir uns hier mal ansehen.

Die Begeisterung für vegane und vegetarische Ernährung hat in Deutschland in den vergangenen Monaten spürbar nachgelassen. Nach aktuellen Zahlen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK ) ist der über Jahre hinweg boomende Markt für Fleischersatzprodukte – wie vegetarische Fleischwurst oder Sojaschnitzel – seit dem Sommer auf Schrumpfkurs.

Das ist eine irritierende Aussage — es mag sein oder auch nicht, dass der Veg*-Hype in Deutschland langsam abkühlt. Aber das nur anhand zurückgehender Verkaufszahlen von vegetarischen und veganen Fake-Fleischprodukten zu schlussfolgern, ist etwas… abenteuerlich. Ein bisschen so, als würde man das Ende der Fleisch-Ära prognostizieren, weil letzten Monat die Verkaufszahlen von Presskopfsülze rückläufig waren…

Mitverantwortlich für den Umschwung könnten allerdings auch Untersuchungen der Stiftung Warentest und von Öko-Test gewesen sein, die in den vergangenen Monaten Schlagzeilen machten. Öko-Test untersuchte im Frühsommer 22 Fleischersatzprodukte auf Schadstoffe, Fett, Salz und Geschmack. Das ernüchternde Ergebnis: Nur ein Produkt bekam von den Testern die Note „gut“, bei knapp der Hälfte der Produkte lautete das Urteil am Ende „mangelhaft“ oder „ungenügend“.

Ich bin durchaus auch schon oft über Vleischprodukte gestolpert, die mir relativ lieblos und trashig zusammengeklatscht schienen und die ich kein zweites Mal kaufen werde. Aber: Convenience Food minderwertiger Qualität ist ja nun bei weitem kein vegan/vegetarischspezifisches Problem. Ein ganz passender Vergleich hierzu ist zum Beispiel das Ökotesturteil dieses Sommers bezüglich Grillwürsten — diesmal welche aus Tierteilen. Siehe da: „4 von 20 waren «mangelhaft», 7 «ungenügend».
Den sehr umfassenden Testbericht findet man im Onlineangebot von Ökotest. (Inhaltswarnung: die ersten Seiten beinhalten sehr explizite Beschreibungen der unschönen Umstände, wie eine Tier-Wurst zustande kommt)

Etwas besser, aber auch nicht wirklich gut, fiel ein Test von 20 Fleischersatzprodukten durch die Stiftung Warentest aus. Zwar bekamen hier immerhin sechs Produkte die Note „gut“. Doch warnten auch hier die Tester vor „hohen Mengen an Mineralölbestandteilen“ in fünf Bratwürsten und einem Veggie-Schnitzel.

Mineralölrückstände und in noch höherem Ausmaß aromatische Mineralöl-Kohlenwasserstoffe in Lebensmitteln sind tatsächlich ein Problem. Erstere haben zumindest im Tierversuch gezeigt, dass sie sich in Organen anreichern und zu Schäden in den Lymphknoten und der Leber führen können. Letztere haben karzinogenes Potential, sie können also Krebs auslösen. Die efsa (European Food Safety Authority) und das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) informieren dazu.

Nur: In dem Artikel und auch in dem Schlagzeilenaufkommen der jüngeren Vergangenheit klingt es so, als wäre das ein veg*spezifisches Problem. Was aber ohnehin verwunderlich wäre — denn der Weg, wie Mineralölspuren in Lebensmittel geraten, ist über die Verpackung und während der Produktion, zum Beispiel via Maschinenschmierstoffen. Und weder Verpackungen noch Produktionsmaschinen sind jetzt eine besonders exklusive Einrichtung vegan/vegetarischer Lebensmittelherstellung.
Und so kommt es auch zu folgendem Ergebnis in Ökotest-Ergebnis, aus der oben bereits erwähnten Versuchsreihe: „Abgeschmiert: In 14 von 20 Grillwürsten stecken Mineralölrückstände.“ (und dort gab es als kleinen Bonus in einem Fall auch noch Antibiotikarückstände dazu).

Um das klarzustellen: Dass es bei Tierprodukten auch eine Mineralöl-Problematik gibt, macht die Verunreinigungen in Veggie-Produkten natürlich um keinen Deut besser!
Aber dieser kleine Umstand macht die implizierte Schlussfolgerung von SPON „Uh, in meiner Tofuwurst sind schädliche Mineralölrückstände — ich wechsle lieber wieder zur Schweinevariante!“ etwas… unclever.
Oder gilt hier bei den AutorInnen von SPON womöglich die Artgenoss’sche Gleichung?

Screenshot Artgenosse auf Facebook

 

Und darüber hinaus stellten sie fest: „Einige Veggie-Varianten schmeckten trocken, waren schwer zu kauen oder sehr salzig.“

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen — geschmacklich unüberwältigendes Convenience Food ist nicht veg*spezifisch.

„Auch sind sie nicht per se kalorienärmer als die vergleichbaren Fleischprodukte. Wer Fett sparen will muss genau hinschauen, welches Produkt er auswählt.“

Ich kann es mir nicht so recht vorstellen — gibt es tatsächlich so viele Leute, die überlegen: „Ich esse viel zu fett und kalorienreich! So kanns nicht weitergehen. Ich werde umgehend die Schweineschnitzel, Bratwürstchen und Chickennuggets konsequent von meinem Speisezettel streichen!! …und sie durch Seitanschnitzel, Tofuwurst und Sojanuggets ersetzen“?
Protein, Fett und Kohlenhydraten — aus denen sich ja die Energiedichte eines Lebensmittels zusammensetzt — ist es egal, ob sie aus einem Tier oder einem Grünzeug stammen. Der Kaloriengehalt ist in beiden Fällen jeweils der gleiche. Immerhin: Bei der pflanzlichen Variante dieser Produkte spart man sich die entzündungsbefeuernde Arachidonsäure sowie Nitrosamine und einige andere carzinogene Kandidaten (#18).

Zurück zum Anfang des SPON-Artikels:

Veggie-Boom lässt nach

Nach stürmischem Wachstum im vergangenen Jahr hat die Begeisterung für vegetarische Lebensmittel wieder spürbar nachgelassen.

Oh, der Verkauf von Gemüse, Obst, Reis, Kartoffeln, Nüssen, Nudeln und Hülsenfrüchten läuft nicht mehr so gut? 🙁
Dass vegetarische und vor allem vegane Ernährung dauernd gleichgesetzt wird mit in Tierform geknetete Sojabatzen ist ein klitzekleines bisschen reduzierend und an der Reallität vorbei. Oder ernähren sich  Omnivoren ausschließlich von Fleisch, Wurst und Käse ohne alles?

Was Spiegel Online allerdings treffend benennt: Bei dem bisherigen Run auf Fleischersatzprodukte handelte es sich tatsächlich um einen Boom.
Die monatliche Verbrauchererhebungen der GfK sind kostenpflichtig und daher leider nicht frei einsehbar. Aber auch Milchwirtschaft.de bezieht sich auf sie — und demzufolge „Notierten die Marktforscher im Dezember 2015 [bei Fleischersatzprodukten] ein Plus in der Einkaufsmenge von 56 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, so waren es im Mai 2016 noch 11 Prozent, im Juni 2 Prozent.“.
56% ist allerdings ein gewaltiges Plus und selbst in der Folgezeit gab es noch einen leichten Anstieg der Verkaufszahlen im jeweiligen Vergleich zum selben Monat im Jahr zuvor. Dass dieser extreme Anstieg sich nicht über Monate und Jahre derart steil fortsetzen kann, ist irgendwie logisch. Und diese Zahlen bedeuten ja nicht, dass die Verkaufszahlen besagter Produkte jetzt total eingebrochen wären, sondern nur, dass sie nicht irrwitzig noch immer weiter ansteigen.

Wenn man sich die URL zum Artikel anguckt, wird es sogar noch ein bisschen abenteuerlicher.

/deutschland-die-sehnsucht-nach-fleisch-waechst-wieder

Aus weniger verkauften Seitanschnitzeln wird da salbungsvoll eine neuentflammte Sehnsucht der Deutschen nach Fleisch. Aber um dazu eine Aussage treffen zu können, bräuchte es Zahlen darüber, wie die Entwicklung des Kaufverhalten bezüglich Fleisch aussieht — und nicht das bezüglich Fake-Fleisch!

Denn auch wenn es den SPON-AutorInnen offenbar nicht in den Sinn kommt: Hat man aus dem einen oder anderen Grund keine Lust mehr auf Tofu-Frikadelle, ist nicht die unausweichliche Alternative das Tier-Äquivalent — hört-hört! Es steht nämlich noch die eine oder andere weitere Lebensmittelgruppe zum Stillen des Hungers zur Verfügung — von Milch- und Käseprodukten, über die gesamte Gemüsevielfalt, bis hin zur selbstgemachten Haferflocken-Kidneybohnen-Frikadelle.

Fleischersatzprodukte werden besonders angesteuert von Menschen, die ihren Fleischkonsum nur reduzieren wollen (die sog. Flexitarier — von denen es mittlerweile etliche gibt) sowei von Menschen, die gerade auf Vegetarisch oder Vegan umstellen oder noch nicht so lange dabei sind.
Unter den etablierten VeganerInnen gibt es etliche, in deren Ernährung Vleischprodukte keine wesentliche Rolle einnehmen oder die diese sogar aktiv ablehnen: aus gesundheitlichen Gründen, aus quasi-ethischen Motiven („Ich will kein Tier Essen, dann brauch ich auch nichts, was versucht so auszusehen und zu schmecken“), aus ökologischen Überlegungen (zum Beispiel Palmfett, Plastikmüll) oder weil mit der Zeit genug Rezepte, Gerichte und Lebensmittel entdeckt wurden, die keine 1:1-Nachbildung der konventionellen omnivoren Mahlzeiten und Nahrungsmittel sind.
Ebenso ist zu bedenken, dass bisher viele Fleischalternativen vegetarisch, nicht jedoch vegan sind. Zudem haben mittlerweile etablierte Fleischproduzenten große Teile des Fake-Fleischmarkts übernommen — und bei denen zu kaufen lehnen viele ethisch motivierte VeganerInnen strikt ab. Besonders, wenn die immer wieder durch diverse schlimme Skandale auffalen.

Man könnte daher über das Abflauen des Fleischersatz-Hypes auch spekulieren, dass immer mehr der FlexitarierInnen nach einer Übergangszeit zum Vegetarismus finden und alsbald in der fleischlosen Küche so heimisch geworden sind, dass sie keinen Bedarf mehr an solchen Fertigprodukten haben. Oder die VegetarierInnen upgraden zum Veganismus und „dürfen“ die vegetarischen Ersatzprodukte dann nicht mehr konsumieren.
Natürlich auch nur eine Theorie, solang harte Daten fehlen — aber da die Anzahl von Veg*-Volk weiter ansteigt, wäre es zumindest denkbar.

Wenn selbst der Chef von Rügenwalder Mühle Boykottaufrufe von aufgebrachten Bauern kassiert für seine Äußerung, er könne sich vorstellen, in 20 Jahren seinen Betrieb ohne Fleisch zu führen — dann können die Zukunftsprognosen gar nicht so düster sein.

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