[Inside Activism] Regionalgruppe mit Regina

[Inside Activism] Regionalgruppe mit Regina

In der Inside-Activism-Serie erklären Aktivist*innen Aufbau, Planung und Durchführung jeweils einer der vielen möglichen Aktionsformen im Engagement gegen Karnismus und Antispeziesismus.

Heute erzählt uns Regina im Interview, wie man – auch in dörflicher Umgebung – eine vegane Regionalgruppe auf die Beine stellt und was man damit so alles treibt.

Regina, erzähl eingangs doch mal wer Du bist und wie Dein Weg zum Veganimus aussah.
Ich bin vor fünf Jahren, mit Mitte vierzig, aufs Land gezogen, in den Landkreis Nienburg/Weser, um näher an meinem Arbeitsplatz in Hannover zu sein. Zuvor wohnte ich in Berlin. Dort war ich – und das ist ja fast schon ein Berliner Klischee – vegan geworden. Interessanterweise übrigens zunächst nicht aus tierethischen Erwägungen sondern aus ökologischen Gründen. Ich engagierte mich Ende der Nullerjahre in einer Berliner Arbeitsgemeinschaft, die sich mit erneuerbaren Energien befasste. Biogasgewinnung war da ein großes Thema. So stieß ich auf die gravierenden Auswirkungen der Tiernutzung für Klima und Umwelt. Das war sozusagen der erste Anstoß, vegan zu werden. Die Auseinandersetzung mit Berichten zur Fleisch- und Milchproduktion und die Lektüre philosophischer Werke zur Tierethik hat die Sache dann beschleunigt. Dennoch frage ich mich rückblickend (wie vermutlich viele andere VeganerInnen), warum der Prozess so lange gedauert hat…
Du hast die Nienburger Ortsgruppe gegründet. Wie groß ist die und was treibt die so? Was für Menschen finden sich dort zusammen?
Das wechselt sehr stark. Es gibt einen „harten Kern“, der sich alle paar Wochen trifft, zurzeit im privaten Rahmen, und einen gemeinsamen Sonntagsbrunch (ab 13 Uhr) veranstaltet. Hierzu bringt jedeR etwas zu essen mit. Wir stimmen uns im Vorfeld nie ab, aber es ist bislang trotzdem immer ein abwechslungsreiches und leckeres Buffet zustandegekommen. Jedenfalls habe ich es nie erlebt, dass wir eine Verkostung von zehn unterschiedlichen Kartoffelsalaten machen mussten (wobei das sicher auch eine interessante Erfahrung wäre!). In unseren besten Zeiten kamen mehr als dreißig Menschen zusammen, erfreulicherweise aus allen Altersgruppen. Und auch aus allen Vegankreisen. Neben klassischen VeganerInnen, die tierethische und ökologische Gründe zu diesem Lebensstil motiviert haben, waren stets auch andere dabei, für die eine gesunde Lebensweise im Vordergrund steht. Manche brachten und bringen interessierte Familienangehörige mit, Mütter, Väter, Schwestern, manche in bereits fortgeschrittenem Lebensalter. Neben dem gemeinsamen Brunch haben wir in unregelmäßigen Abständen Infotische in der Nienburger Innenstadt veranstaltet. In einer Kleinstadt inmitten des „Agrarlandes Nr. 1“ über vegane Lebensweise zu informieren, ist schon eine besondere Herausforderung. Zugleich kam es dabei immer wieder auch zu unerwarteten und schönen Begegnungen mit Interessierten.

VEBU Regionalgruppe Nienburg - Infostand

Was hat dich seinerzeit dazu bewogen, die Gruppe zu gründen?
Das war in erster Linie der Umzug aufs Land. Der recht spontan gefasste Beschluss, eine Gruppe zu gründen führte tatsächlich recht bald zu Kontakten zu anderen vegan lebenden Menschen. Neben dem Wunsch nach persönlichen Kontakten stand für mich auch und vor allem der Austausch über Veganismus im Vordergrund. In einer ländlichen, von der konventionellen Agrarwirtschaft geprägten Region wie Nienburg auf andere VeganerInnen zu treffen, ist nicht leicht. Aber möglich!
Wie bist Du es angegangen? Hast Du Dir vorher extern Informationen geholt? Welche Kanäle hast Du genutzt?
Ich habe mir die Infrastruktur des VEBU zu Nutze gemacht, mich in die Liste der Regionalgruppen eintragen und mir Infomaterial zuschicken lassen. Zu Beginn erschienen auch ein paar Zeitungsartikel in der örtlichen Presse. Dann gab es noch die Facebookseite. Der Prozess verlief insofern anders als erwartet, als dass ich recht bald auf eine Gruppe von VeganerInnen und VegetarierInnen stieß, die sich unmittelbar vor der Gründung zusammengetan hatte und sich regelmäßig im privaten Kreis zum Sonntagsfrühstück traf. So wurde aus dem Zusammenschluss dieser Frühstücksgruppe und der rudimentären Nienburger Gruppe sozusagen die offizielle Regionalgruppe.
Gab es Rückschläge zu verkraften oder massivere Hürden zu überwinden?
Nein, echte Hürden oder Rückschläge habe ich nicht erfahren. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass eine solche Gruppe etwas sehr Dynamisches ist. Leute kommen und gehen oder bleiben auch mal weg. Auf diese Weise bilden sich immer wieder neue Gruppen mit eigenen Schwerpunkten heraus. Ich finde das aber ganz schön. Es ist auch nicht auszuschließen, dass diese Dynamik auch die Gesamtausrichtung der Gruppe verändert, z.B. den gemeinsamen Brunch. Gleichzeitig mag ich aber auch unsere Traditionen. Wie in den vergangenen Jahren wird es auch in diesem Jahr in der Vorweihnachtszeit ein gemeinsames Adventsessen in einem Restaurant geben.
Was siehst Du rückblickend als den größten Erfolg der Gruppe oder Deinen schönsten Moment? 🙂
Da fallen mir gleich drei Begebenheiten ein. Zum einen das Sommerfest, das in unserem Garten stattfand. Dabei waren viele Leute aus unserer Gruppe, aber auch Mitglieder der Gruppen Allerleinetal und Rotenburg/Wümme. Sogar zwei mir gänzlich Unbekannte aus dem benachbarten Westfalen waren da, die ich danach nie wieder gesehen habe. Das war toll! Mit rund fünfzig netten Leuten bei phantastischem Sommerwetter und einem opulenten Buffet bis in den späten Abend hinein zu feiern, das war schon ein tolles Ergebnis.
Sehr gefreut hat mich auch Dein Besuch im Dezember 2014, Ilja, bei dem Du Dein damals frisch erschienenes Buch „Kick it vegan!„vorstellen (und mit Blick auf das bevorstehende Weihnachtsfest auch gleich eine tolle Geschenkidee präsentieren) konntest.
Und dann natürlich unser Kinoabend. Wir hatten in einer Nienburger Kultureinrichtung einen kleinen Kinosaal gemietet und dort den wunderbaren Dokumentationsfilm „Live and let live“ gezeigt. Der Regisseur Marc Pierschel war eigens angereist und stand für Fragen des Publikums zur Verfügung. Das war wirklich großartig. Die Resonanz war nicht so groß wie erhofft und rein finanziell betrachtet sogar ein Minusgeschäft, aber es bleibt für mich ein schönes Erlebnis und, ja, auch ein Erfolg der Gruppe.

Filmvorführung mit Marc Pierschel

Aber mittlerweile bist Du nicht mehr die Leiterin – wie kam es dazu?
Mittlerweile leitet die Gruppe eine Freundin aus dem „harten Kern“ unserer Gruppe. Wegen meiner berufsbedingten Pendelei und noch anderer Verpflichtungen und Hobbys habe ich die Leitung der Gruppe gern in ihre Verantwortung gelegt. An unseren Treffen hat sich nichts geändert und ich bin nach wie vor gern beim Brunch dabei. Grundsätzlich ist es für eine Gruppe sicher eine Bereicherung, wenn die Verantwortung für die Organisation auch mal wechselt und vielleicht neue Akzente gesetzt werden.
Hast Du Tipps für VeganerInnen, die bei sich vor Ort auch gern eine Gruppe gründen würden?
Wer eine solche Gruppe gründet, sollte bedenken, dass mit einem ständigen Wechsel der Mitglieder und der Treffen gerechnet werden muss. Wer dies nicht als Last sondern als Bereicherung und als Zeichen eines grundsätzlichen Zuspruchs erkennt, sollte nicht zögern, eine Gruppe zu gründen. Beharrlichkeit ist wichtig. In einer Großstadt oder Universitätsstadt ist mit sehr viel mehr Zulauf zu rechnen. Gleichzeitig denke ich, dass gerade in solchen Städten die Fluktuation noch höher sein dürfte. Auf dem Land oder in einer Kleinstadt sind andere Hürden zu nehmen. Der Anteil vegan lebender Menschen ist dort nach wie vor verschwindend klein. Gerade dies schweißt aber auch zusammen. Darüber hinaus kann eine Vernetzung mit weiteren Aktiven, etwa Bürgerinitiativen, stattfinden. Für weitere Aktivitäten empfiehlt sich auch ein guter Kontakt zu örtlichen Bürger- oder Kulturzentren.
Auch wenn es manchen VeganerInnen (verständlicherweise) schwerfällt: Es lohnt sich, die Gruppe offen zu halten für alle Interessierten. Wir haben uns immer über nichtvegane BrunchteilnehmerInnen gefreut und auch für diese neuen Gäste, war es, denke ich, eine Bereicherung. Nur an unserem Grundsatz, nach dem das Brunchbuffet 100%ig vegan ist, wurde nie gerüttelt.
Nützlich ist es, zumal in kleineren Gemeinden, den Kontakt zur Presse herzustellen und für Veranstaltungen auch auf dieser Ebene zu werben. Wenn es einen festen Pressekontakt gibt, kann die Gruppe oder die Gruppenleitung eine Expertise zu Veganismus und verwandten Themen liefern. Ich erinnere mich, dass mich vor zwei Jahren im Urlaub unerwartet der Telefonanruf eines Zeitungsredakteurs erreichte, der mit Blick auf eine aktuell in Nienburg geführte Diskussion zum Thema Zirkus meine Meinung zu diesem Thema hören wollte. Schließlich geht es bei Veganismus nicht nur ums Essen!

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Außerdem: Liste von bundesweiten lokalen Vegan- und Tierrechtsgruppen.