[Science] „Menschen dürfen Tiere essen“ oder?

[Science] „Menschen dürfen Tiere essen“ oder?

Die Würde der Tiere gehört zu den Randthemen des Rechtsphilosophen Norbert Hoerster, der jüngst wieder in einem Artikel in der taz zu Wort kam.

Die Verbreitung Hoersters oberflächlicher Thesen macht es nötig, diese kritisch unter die Lupe zu nehmen. Grundlage bilden der erwähnte Artikel in der taz  sowie sein Buch „Haben Tiere eine Würde? Grundfragen der Tierethik“ von 2004, mit Hilfe dessen der Blick auf Hoersters Position abgerundet werden soll. Im Folgenden wollen wir uns sukzessive seinen zentralen Argumenten widmen, die aber darüber hinaus auch allgemein stehen und von anderen Autoren aufgegriffen worden sind und werden. (https://www.taz.de/Philosoph-ueber-Festessen-und-Tierrechte/!5366290/)

Der Artikel ist in vier Teile aufgeteilt:

  1. Was der Mensch erzeugt, darf er beherrschen
  2. Menschen haben ein anderes Weiterlebensinteresse
  3. Säuglinge sind potentielle Personen
  4. Speziesistische Interessen und „natürliche Verbundenheit“

Viel Spaß beim Lesen!

1. Was der Mensch erzeugt, darf er beherrschen

Der Mensch darf über die sogenannten Nutztiere verfügen. Warum? Er hat sie erzeugt.

Hoerster äußert sich dazu im Eingangs genannten Artikel folgendermaßen:

Menschen dürfen Tiere essen. Denn die meisten Tiere, die wir essen, wurden von Menschen erzeugt, damit sie gegessen werden können.

Hoerster leitet daraus ein Tötungs- und Nutzungsrecht her, da der Mensch diese Tiere durch Zucht erst erzeuge.

Das Argument kann auf zwei Arten verstanden werden. Zum Einen im Sinne der Erschaffung der jeweiligen Art und zum Anderen im Sinne der Erzeugung des jeweiligen individuellen Tieres.

Der erste Punkt meint nun, dass die Menschheit durch die Erzeugung der jeweiligen Nutztierrassen wie dem Hausschwein, auch über diese verfügen dürfe. Wenn sich das Nutzungsrecht aber nur auf jene Tiere bezieht, die nur durch einen Eingriff des  Menschen entstanden  sind, so sollte es die betreffende Art „eigentlich” gar nicht geben. Alle heutigen Haustierrassen, wie eben auch jenes Schwein, sind domestizierte, nach den besonderen Bedürfnissen und Erfordernissen des Menschen gezüchtete Tiere. Diese Tiere wurden in einem langen Prozess über Jahrtausende an den Menschen gewöhnt und durch Selektion angepasst gehen aber auf Wildtiere zurück. Das bedeutet, dass die Erzeugung, bzw. überhaupt Entstehung hier als eine Transformation zu beschreiben ist, an deren Ende eine Spezies genutzt wurde, die eben nicht vom Menschen geschaffen worden ist. Auch wenn der Mensch im Rahmen dieses Arguments kein Nutzungsrecht hätte. Auf diese Weise aber hätte der Mensch jene Wildtiere gar nicht erst domestizieren dürfen. Die heutige Nutzung basiert auf einem Unrecht. Hoerster kann dieses Unrecht nicht rechtfertigen, er übersieht es/muss es zwangsläufig übersehen, um sein Argument zu retten. Auf diese Weise bestimmt Hoerster schlicht und ergreifend einen willkürlichen Moment in der geschichtlichen Entwicklung, der ihm in die Argumentation passt als Ausgangspunkt und begeht einen „historiographischer Fehlschluss“.

Als nächstes kann argumentiert werden, dass auch die bloße Erzeugung insbesondere auch des einzelnen tierlichen Individuums keine totale Nutzungsmacht rechtfertigen kann, denn es handelt sich dabei gerade nicht um ein lebloses Werkzeug, sondern um ein Wesen mit Interessen, Bedürfnissen, usw., die durch die Erzeugung erst entstehen, so dass ganz im Gegenteil eine zumindest grundsätzliche Verantwortung zu dessen Befriedigung besteht. Es wird nicht nur ein Tier erzeugt, sondern ein Wesen, mit Interessen, mit der Fähigkeit zu leiden, mit dem Bedürfnis zu Leben und dies möglichst angenehm. Damit ist der Mensch mit diesen Bedürfnissen kausal verbunden, was eine zumindest grundsätzliche Verantwortung impliziert. Ähnlich sieht es beim Menschen selbst aus, der Kinder bekommt. Niemand würde wohl auf die Idee kommen, aus dieser Erzeugung ein totales Nutzungs- oder gar Tötungsrecht abzuleiten, stattdessen wird von Pflichten, insbesondere jenen der Fürsorge gesprochen, die sich aus dieser selbstverschuldeten Verantwortung ergeben und dies deshalb, weil es sich hierbei um eine Wesen handelt, das über eigene Interessen, Wünsche und die Fähigkeit zu Freude und Leid verfügt.
Hoerster jedoch geht noch einen Schritt weiter und meint nun sogar, dass nicht nur der Interesse des Menschen am “Nutztier” aufgrund der Erzeugung gerechtfertigt sei, sondern auch dieses Tier ein Interesse an dessen Erzeugung und damit auch Nutzung habe, da diese die Bedingung der Existenz sei.
Das zynische Argument lautet, dass das Schwein am meisten Interesse an der Schweinehaltung habe und geht auf ein Zitat Leslie Stephens zurück, das wie folgt lautet:

„Das Schwein hat selbst das größte Interesse an der Nachfrage nach Speck. Wenn alle Menschen Juden wären, gäbe es keine Schweine.“ (Hoerster, S. 75f.)

Dieses Argument wird trotz seiner offenkundigen Haltlosigkeit und Inkonsistenz weiter rezipiert und soll deswegen hier kurz behandelt werden. Es gesteht auf den ersten Blick Schweinen Interessen zu, nämlich das Interesse, am Leben selbst. Hat das Schwein aber ein Interesse an diesem Leben, so ist es unrecht, es einfach zu übergehen. Beachte ich also sein Interesse am Leben und das soll ja letztlich die „Produktion“ von Schweinen aus Sicht des Schweins rechtfertigen, so kann ich hinterher nicht einfach über das Interesse hinweg gehen und es töten. Auf der anderen Seite sollte es aber schwer sein, einem Wesen ein vorgelagertes Interesse an seiner Existenz nachzuweisen. Wie soll das Schwein denn ohne seine Existenz seine Existenz wollen? Es gibt also kein Interesse der Schweine an deren industrieller „Produktion“.
Weder hat also ein Wesen vor seiner Existenz ein Interessen an dieser, noch kann ich die Nutzung mit einem Interesse begründen, nur um dieses Interesse dann wieder durch die Nutzung zu missachten. Denn ist das Schwein erst einmal existent, so hat es das Interesse, am Leben zu bleiben,, weiterleben zu können und dies möglichst leidfrei und mit einer positiven Lebensbilanz, also einem Leben, das möglichst viele angenehme Empfindungen bereit hält im Gegensatz zu unangenehmen.

In dem Artikel der taz wird die Frage nach dem Nutzungsrecht bei Menschen jedoch mit einem anderen Punkt zurückgewiesen. Auch hierbei zeigt sich, was Hoersters Denken völlig durchzieht: statt des einfachen ethischen Prinzips wie der Berücksichtigung der Interessen aller, die solche entwickeln, wird mit Hilfe vieler Hilfskonstruktionen diese Reichweite eingeschränkt, um den eigenen Beschränkungen des Denkens und Fühlens eine Begründung zu liefern, statt sie zu hinterfragen. Für Philosophen im Grunde beschämend. Hoerster weist nun mit Hilfe des nächsten Punktes die Ausweitung des Nutzungsrechts aufgrund der Erzeugung zurück.

2. Menschen haben ein anderes Weiterlebensinteresse

Die Nutzung von Menschen sei nun deswegen ausgeschlossen, weil Menschen ein anderes Überlebensinteresse hätten, das in Abgrenzung zu dem tierlichen als Weiterlebensinteresse bezeichnet werden könnte, da es laut Hoerster dabei um mehr als einen Überlebensinstinkt gehe und sich zudem in konkreten Plänen und Wünschen für die Zukunft manifestiere. Dass dieser Punkt in Hoerster Argumentation nur die Tötung verhindere, nicht aber die Nutzung, verschweigt er freilich wiederum.Das Argument kann nun in zwei Teile geteilt werden. Zum Einen steht die Frage generell nach dem Wert des Willens zum Weiterleben des Menschen und zum Anderen die Frage, inwieweit Pläne und Wünsche als kategorische Unterschiede zu beachten wären. Zuerst also die Frage danach, wie ein Zeit- oder besser Zukunftsbewusstsein als kategorischer Unterschied gewertet werden kann. Hier wird es allerdings etwas komplizierter.

Zeitbewusstsein in seiner Ausprägung als Bewusstsein von einem Selbst in der Zeit und damit der Selbstentwurf in der Zukunft wird gern als Grenze für (schmerz-, bzw. leidlose) Tötung angenommen. Aber welchen Sinn hat diese Grenze? Einfach ausgedrückt, ist der Entwurf des Selbsts in der Zukunft ursächlich durch den Wunsch das Unvermeidbare zu vermeiden geprägt und paradoxerweise von einer Überbetonung der Gegenwart. Wenn von einem säkularen, allein im Diesseits gelegenen Leben auszugehen ist, so sind sowohl das Selbst, das maßgeblich eine Ansammlung von Erlebnissen, deren Verarbeitung und entsprechenden Dispositionen ist (um es sehr zu vereinfachen), als auch dessen Entwurf in der Zukunft insofern unsinnig, als die Löschung dieser Erinnerung unvermeidbar ist. Ob ein Individuum eine oder tausende Erfahrungen macht, ist, retrospektiv betrachtet, aus subjektiver Sicht belanglos. Der hinter der Idee stehende Wunsch ist vielmehr auf die Gegenwart gerichtet und entspringt einem aktuellen oder akuten „Weiterleben-wollen“, das notwendig die Gegenwart betonen muss, da, um sinngemäß Alatriste im gleichnamigen Film wiederzugeben, wir in der Zukunft alle tot sind.

Damit ist der Kern dieses Weiterlebenwollens nicht der Entwurf des Selbsts in die Zukunft, sondern eine aktuelle Wollensfähigkeit, die akut etwas nicht möchte, nämlich die Missachtung des Interesses weiterleben zu wollen. Dies kann dann die Grundlage einer ethischen Beurteilung eines Tötungsverbots stellen. Weiterhin geht Hoerster von einem unzutreffenden Verständnis der Gegenwart aus, denn auch scheinbar völlig in der Gegenwart existierende, bewusste Lebewesen, weisen notwendig ein Stück in die Zukunft. Der Grund dafür ist, dass auch die Gegenwart einen sich in der Zeit, sowohl in Zukunft, als auch Vergangenheit, erstreckenden Bereich bezeichnet, der nicht eben nicht auf einen Moment reduzierbar ist. Jedes akute Wollen ist also ein Wollen, das immer in einer Ausdehnung der Zeit erfolgt und nie völlig gegenwärtig ist.
Kein bewusstes Wesen existiert also in einer „reinen Gegenwart“ und ein Weiterlebenwollen entspringt immer einem aktuellen Überlebenswillen, der bei dem Menschen noch zusätzlich durch Selbstentwürfe in die Zukunft wie Pläne und Wünsche ausgeformt wird.

Können aber diese einen Unterschied machen? Muss es also Pläne und Wünsche geben und nur dann ist ein Weiterleben ethisch sicher? Reicht es dabei, einmal einen Plan zu haben? Wie konkret muss er sein? Reicht sein bloßes Vorhandensein oder muss ständig an ihn gedacht werden? Ist ein Plan existent, wenn nicht an ihn gedacht und nach ihm gehandelt wird? All dies müsste Hoerster beantworten, damit eine solche Unterscheidung überhaupt Sinn macht. Ebenfalls ist nicht klar, warum die Existenz eines Entwurfs des eigenen Selbsts in die Zukunft, also Pläne und Wünsche für die Beachtung der Interessen in der Gegenwart relevant sein sollten. Natürlich bedeutet das Vorhandensein von Plänen auch das Vorhandensein bestimmter Interessen und Bedürfnisse, die Wesen nicht haben, die nicht über Pläne verfügen (auch hier wäre noch einmal zu prüfen, ob Pläne überhaupt etwas exklusiv menschliches sind). Allerdings beachten wir bei solchen Wesen ja unabhängig davon auch deren Bedürfnisse und Interessen, die sie sie aktuell, in Bezug auf ihre gegenwärtige Situation haben. Dazu gehören das Interesse an Leidvermeidung, an angenehmen Empfindungen, an Bewegungsfreiheit und in Hoersters eigener Argumentation(!) auch das Interesse zu existieren (wir erinnern uns an das Schwein). Er müsste also zeigen, dass auch diese Interessen entweder bei Tieren gar nicht existent sind oder aber, dass sie nicht relevant sind. Ersteres widerspricht dem aktuellen wissenschaftlichen Stand und Letzteres ist nur möglich, wenn weitere, diskriminierende Eigenschaften eingeführt werden.
Eine solcher Eigenschaften ist die Potentialität und diese bemüht auch Hoerster. Auch hierbei ist sein Punkt im Sinne seiner These verkürzt und muss erweitert werden, so dass im gleichen Atemzug auch die Frage gestellt werden soll, was mit jenen ist, die diese Pläne nicht mehr haben oder nie haben werden. Wie also sollen die Interessen und Bedürfnisse derjenigen geschützt werden, die bestimmte Interessen überhaupt nie haben werden oder nicht mehr haben können? Wenn also das gegenwärtige Interesse am Leben nicht ausreichend ist, wie muss auch mit Menschen umgegangen werden, die jene Planhaftigkeit nicht aufweisen?

3. Säuglinge sind potentielle Personen

Um nun wenigstens Säuglinge vor dem Tötungsverbot zu retten, legt Hoerster u.a. fest, dass diese ja irgendwann einmal ein solches Weiterlebensinteresse, also Pläne und Wünsche der Zukunft  haben werden, denn sie wachsen und werden älter, sie entwickeln sich also.
Was ist nun aber mit denen, die dies nicht mehr haben oder nie haben werden? Die Rede ist hier von Menschen mit Demenz oder solchen mit bestimmten kognitiven Unterschieden, die auch als Beeinträchtigung oder Behinderung bezeichnet werden.

Das Argument der Potentialität verweist im Kern auf das, was als „natürliche“ und „normale“ Eigenschaft einer Spezies angesehen wird und übersieht dabei, dass gerade die gegenwärtige Lage entscheidend ist bei der Beurteilung von Handlungen. Einer Person, die im Rollstuhl sitzt, ist wenig mit dem Verweis geholfen, dass sie potentiell fähig wäre, zu laufen oder dass es zur normalen Ausstattung ihrer Spezies gehöre, laufen zu können. Sie kann es nicht und dies ist der Grund warum die Gesellschaft Rollstühle baut, weil ihre momentane Situation ihr auf andere Weise eine Teilhabe nicht gestattet, weil sie nicht durch „Normalität“ im erwähnten Sinne geprägt ist. Es ist höchst fragwürdig, Anerkennung und Berücksichtigung der Interessen und des Wohls für Säuglinge einzufordern, weil sie einmal Erwachsene sein werden, für Demente, weil sie es einmal waren und für schwer Behinderte, weil sie es in einem Paralleluniversum hätten sein können. Ihre Beachtung wird aus ihrer gegenwärtigen Perspektive heraus gefordert, ihr Leben aus ihrer Sicht in der Gegenwart als wertvoll erachtet. Sie sind von unseren Entscheidungen betroffen und deswegen zu berücksichtigen.

Jetzt könnte eingewendet werden, dass man selbst ja Vorbereitungen treffen könnte, um die Berücksichtigung der eigenen Interessen auch in diesen Fällen abzusichern. So haben die Mitglieder einer Gesellschaft vielleicht deswegen ein Interesse daran, solche Interessen zu berücksichtigen, weil sie durch Krankheit oder Unfall in einer solche Situation kommen könnten. Aber so wahrscheinlich ein solcher Fall sein kann, so unwahrscheinlich sei der Fall, dass man durch Unfall oder Zauberei zu einem Hund werde, so dass wir zumindest darüber nie nachdenken müssten. Jeder kann potentiell eine Behinderung bekommen aber niemand nicht mehr Mensch sein. Dieser Punkt übersieht allerdings, dass das gleiche Argument auch von einer rassistischen oder sexistischen Position genutzt werden kann, denn für diese ist es ebenso wenig möglich, das Geschlecht oder die Hautfarbe zu wechseln. Es kann also nicht darum gehen, nur jene Kategorien und Möglichkeiten zu schützen, die uns selbst “zustoßen” könnten.

Auch Potentialität kann Hoersters Position also nicht retten.

Den Kern seiner Theorie bildet allerdings erst ein Punkt, der genauer in seinem Buch ausgearbeitet und im Artikel nur kurz angerissen wird. Um diesen geht es im vierten und letzten Punkt.

4. Speziesistische Interessen und „natürliche Verbundenheit“

Hier muss nun etwas weiter ausgeholt werden. Hoersters Ansatz lehnt als erstes grundsätzlich objektive Werte und universelle Prinzipien, wie es beispielsweise die gleiche Interessenabwägung ist, ab und baut auf intersubjektiv befürwortete Werte. (Vgl. Hoerster, S. 37f.)
Solche können bedeuten, dass sauberes Wasser intersubjektiv mehr geschätzt wird, als schmutziges, genauso, wie die Existenz bestimmter Lebewesen von Menschen mehr geschätzt wird, als die anderer. Dass dies weder auf alle gleichermaßen zutrifft, als auch zutiefst relativistisch ist, scheint offensichtlich.

Ungeklärt ist dabei sowohl die Reichweite der intersubjektiven Gemeinschaft, also die Frage, wer mitbestimmten darf, als auch die Frage, wie Fortschritte solch intuitiver, intersubjektiver Werte und Prinzipien zu erklären und zu werten sind. Wenn immer von mehrheitlich intersubjektiv befürworteten Werten ausgegangen wird, so kann es theoretisch keine Innovationen geben, da jede Position, die nicht zeitgleich in der Mehrheit selbst entsteht, als Minderheitenposition eingestuft und damit abgelehnt werden müsste. Ein Verharren in einem moralischen Konservatismus wäre notwendig die Folge, es sei denn, es wird nicht auf reale Intuitionen referiert, sondern auf solche, die diskursiv gebildet, also entwickelt und nicht nur mit ihrer bloßen mehrheitlichen Existenz begründet werden. Wenn aber die Möglichkeit gegeben ist, Positionen zu ändern, kann die bloße momentane Akzeptanz an sich kein eigentliches Kriterium für die ethische Berechtigung dieser darstellen, zumindest nicht ohne in einen generellen Relativismus zu verfallen, der alle Positionen immer dann gerechtfertigt ansieht, wenn sie nur eine irgendwie definierte Mehrheit annimmt.

Weiterhin lässt sich zeigen, wie problematisch die Folgerungen Hoersters sind.So lassen sich nämlich auch die von Hoerster abgelehnten Konsequenzen des Prinzips der gleichen Interessenabwägung von menschlichen und tierlichen Akteuren ebenso intersubjektiv bilden. Da die Empfindung von Leid für alle Lebewesen, die bisher dahingehend untersucht wurden, bzw. bei denen das Empfinden von Leid festgestellt werden konnte, aus deren Perspektive als nicht wünschenswert erachtet wird, bzw. sie sich dagegen wehren, also ein Interesse an Leidvermeidung haben, gilt der intersubjektiv gebildete Wert an Leidvermeidung auch für diese. Diese führt aber dazu dass ihr Interesse an Leidvermeidung nicht hintergangen werden darf, sofern nicht bereits vorher durch speziesistische Annahmen bestimmte Lebewesen ausgeschlossen werden. Wird ein solcher Ausschluss befürwortet, so kann dies letztlich willkürlich die verschiedensten Gruppen, auch Gruppen von Menschen treffen.*
Selbst unter der Annahme eines intersubjektiven Werts an Leidvermeidung, der nicht objektiviert wird, ergibt sich letzten Endes dieser Wert für alle Subjekte, welche fähig sind, Leid zu empfinden und dies somit als für sich schlecht erachten. Solch ein wirklich umfassender intersubjektiver Wert stützt sich damit wieder auf Grundannahmen, die nicht mit einer Vorliebe der eigenen Spezies getroffen werden oder auf diese begrenzt sind, wie Hoersters Beispiele mit der angeblich zum großen Teil gleichen Bewertung von dem Wert menschlichen Lebens gegenüber dem tierischen.

Hoersters Argumente laufen damit auf eine quantitative Begründung hinaus, die zudem die Gruppe der Stimmberechtigten, u.a. stark über Gruppenzugehörigkeit, einschränken möchte, denn anders ist eine Reduktion der Intersubjektivität auf bestimmte Gruppen unter Ausschluss anderer nicht zu erreichen. Dies ist jedoch gefährlich, da sich hier allzu leicht eine Moral bloß numerischer Mehrheit ergeben könnte, die sich in der Regel an einem moralischen Konservatismus orientiert.
Die Gefahr besteht darin, dass eine Mehrheit, die sich allein dadurch bilden kann, dass sie nur sich selbst als „stimmberechtigt“ konstruiert, Werte bestimmen kann, die Interessen der Nichtstimmberechtigten, der bloßen moralischen Objekte übergeht. Zudem liefert Hoerster keine Erklärung des Entstehens der Grundintuitionen, auf die er in seiner Begründung referiert, sowie für deren Veränderung und Gewichtung im Vergleich zu neuen Prinzipien.
Um trotzdem kontraintuitiven und den momentanen Konventionen gemäß schrecklichen Szenarien zu entgehen führt Hoerster zwar zwei Hilfsbegründungen an, die aber schlicht scheitern (müssen).
Um Diskriminierungen zu verhindern, reiche es zu zeigen, so Hoerster,

„[…] dass die beiden zur Debatte stehenden, von allen vertretenen Diskriminierungsverbote auch tatsächlich in aller Interesse liegen.“ (Hoerster, S. 52.)

Damit meint er aber nicht, dass diese Verbote aus abstrakter Betrachtungsweise mit Blick auf unparteiische und universell ausgerichtete Gerechtigkeitsprinzipien und in Abstraktion von einem selbst entstehen. Vielmehr muss es ihm aus der Ablehnung solcher Prinzipien heraus um einen faktischen Beweis einer subjektiven Grundeinstellung gehen. So besteht seine Begründung in der empirischen Behauptung, dass die Intuitionen, auf die er sich zum Schutz des Menschen beruht,“in hohem Maße wahrscheinlich seien” und beruft sich damit auf sie als scheinbar aktuell vorhanden. (Vgl. Hoerster, S. 52.)** Weder die Historizität einer solchen Einstellung erklärt er dabei, noch kann er erklären, wieso diese Einstellungen nicht in allen Kulturen, bzw. Gegenden der Welt geteilt werden.
Bereits an dieser Stellen könnte eingehakt und angemerkt werden, dass die Fähigkeit Leid empfinden zu können, zu Interessen führt, mindestens zu dem Interesse, kein Leid zu empfinden und dass ein Ausschluss der nichtmenschlichen Interessen sich hier bereits dem Vorwurf des Speziesismus gefallen lassen muss. Das „alle“ ist nicht hinreichend definiert. Es könnte auch für eine Rasse, ein Geschlecht, usw. reserviert sein. Um diese Reservierung zu verhindern, führt Hoerster zwei Begründungen an.

Er beginnt dabei mit der „natürlichen Verbundenheit“ der potentiellen Unterdrücker zu den Unterdrückten. Da der Unterdrücker seine nahen Verwandten nicht unterdrückt sehen will und dies nur mit allgemeinen Verboten erreichen kann, befürwortet er diese. (Vgl. Hoerster, S. 53f.)
Dieses Argument ist empirisch schlicht falsch. Zum Einen sei hier auf Ereignisse wie die s.g. „Ehrenmorde“ verwiesen, bei denen gerade Familienmitglieder getötet werden, weil sie sich eben nicht unterdrücken lassen wollen und zum Anderen übersieht Hoersters Argument allgemein den Willen des Unterdrückers zum Unterdrücken. Der Sexist ist dies vor allem auch gegenüber „seiner eigenen Frau“. Dieses Argument mündet zudem letztlich in einer Moral des Stärkeren, da der entsprechende Unterdrücker lediglich genügend Macht benötigt, um seine Angehörigen zu schützen, so er dies wirklich will und trotzdem andere zu unterdrücken. Hoerster kann diese Probleme demnach nicht beheben.

Die zweite Ebene der natürlichen Verbundenheit, die Hoerster anspricht, ist das altruistische Interesse an dem Unterdrückten. So würde laut Hoerster auch ein Rassist immer ein stärkeres Mitleid zu einer anderrassigen Frau denn zu einem Tier empfinden und immer ersterer helfen als beispielsweise einem Hund. (Vgl. Hoerster, S. 53f.) Die Natur des Rassismus kann jedoch bewirken, dass dem Rassisten das Leben und Wohlergehen seines Hundes wertvoller als das von Andersrassigen oder sonstigen „Minderheiten“ ist und dieser darin überhaupt kein Problem sieht. Gerade rechte Tendenzen im Tierrechtsbereich zeigen das sehr deutlich. Grundlage für eine solche Verbundenheit wäre eine positive emotionale Bindung. Auf das Beispiel bezogen ist diese im Falle des Hundes vorhanden, während im Falle der „Andersrassigen“ eine negative emotionale Bindung bestimmend sein kann. Hoerster selbst gibt schließlich zu, dass dieses Argument eher schwach ist. (Vgl. Hoerster, S. 54.) Zusätzlich anzumerken ist noch, dass es keinen Grund gibt, warum die natürliche Verbundenheit grundsätzlich bei der Spezies halt machen sollte. Nicht jede Person hat automatisch eine bessere Beziehung einem Individuum seiner Spezies gegenüber als gegenüber einem Individuum einer anderen Spezies. Nähe, emotionale Bindungen sind nicht an Speziesgrenzen gebunden, vielmehr können diese gerade durch Formen der Zuneigung aufgelöst werden.
Es ist durchaus möglich, dass sich eine menschliche Person einem Tier weitaus verbundener fühlt als einem Artgenossen gegenüber. Auch entgegengesetzt ist dies möglich, so dass sich durchaus Personen lediglich mit “ihrer Rasse” oder ihrem “Geschlecht” verbunden fühlen können. Sozialität und emotionale Bindungen können in diesem Sinne inklusiver oder exklusiver sein, nicht zuletzt auch deswegen, weil weder “Rasse”, noch “Geschlecht” natürliche, also unveränderliche gegebene Kategorien sind, auf die die einzelnen Individuen gleichermaßen reagieren. Eine Verbundenheit und ein daraus resultierendes Prinzip, sofern es nicht Generalisierungen auf anderen Ebenen als sozial konstruierten Grenzen zulässt und fördert, kann sich auf Einzelne, auf Gruppen, schlicht auf alles und nichts beziehen. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass alle zur Sozialität fähigen Tiere auch über Speziesgrenzen hinaus instinktive und/oder emotionale Bindungen eingehen können.

Allerdings hat Hoerster in dem Sinne Recht, dass es, beschreibt man die Menschheit im Sinne von Gruppe und Zugehörigkeit, eine durchaus starke emotionale Bindung an diese Gruppe geben kann (aber nicht zwangsweise gibt, denn auch die Menschheit ist als Kategorie nicht zwangsweise)t, die sich der Spezifika des Einzelnen gegenüber verstellt. Gruppen arbeiten mit Inklusion und Exklusion. Sie schaffen ein Innen und ein Außen, die sich normativ voneinander absetzen. Dieser Mechanismus muss/sollte jedoch gerade durchbrochen und hinterfragt statt einfach angenommen werden, denn eine solche Gruppenbildung existiert auch in anderen Bereichen und Maßstäben, wie am Beispiel von “Rasse” und “Geschlecht” erschreckend real zu sehen. Die Gruppenidentität und ihre Legitimität sollten dabei in Frage gestellt werden, um ihre routinierte Bildung zu verändern und so auch die Normativität zeitgemäßer Erkenntnis anzupassen. Diese Erkenntnis  – und dies ist ein Verdienst des Philosophen Singer – besteht darin, dass die zur Gruppenidentität verallgemeinerten Fähigkeiten und Eigenschaften (wie die der Empfindungsfähigkeit) eben nicht exklusiv und gleichmäßig innerhalb einer Kategorie, die sie nicht empirisch herleitet, sondern postuliert, verteilt sind.

Nicht die Zugehörigkeit zu einer solchen Kategorie ist entscheidend, sondern die Fähigkeit, Interessen, emotionale Prozesse und ein Wollen zu bilden. Die eigentlich moralische Kategorie muss also jene sein, die sich auf diese Eigenschaften stützt, denn es sind diese, die moralisch relevant sind. Mit Hilfe dieser lassen sich dann auch Sexismus und Rassismus zurückweisen, ganz ohne unnötigen Zusatzkonstruktionen.
Die Verbundenheit, die Hoerster anführt, kann keinesfalls eine konsistente, nachhaltige und gleichmäßige Berücksichtigung schaffen. Soll also auch nicht die dem Rassisten natürlich erscheinende – auch die Verbundenheit zur eigenen Spezies ist sozio-kulturell geformt – Verbundenheit zu seiner „Rasse“ als Berechtigung für Handeln zugelassen werden, so muss als Mindestannahme eine Perspektive der Gerechtigkeit eingenommen werden, die erst einmal von solchen Verbundenheiten abstrahiert, zumindest in den Fällen, in denen es um die Grundbedürfnisse von Wesen geht und die nicht ausschließlich eigene Interessen oder diejenigen derer achtet, die der entsprechenden Person am nächsten stehen.

Eine solche Sichtweise schließt jedoch nicht aus, dass es über diese von Verbundenheit erst einmal abstrahierende Perspektive auch Perspektiven der besonderen Verbundenheit und aus dieser resultierend Fürsorge geben kann und darf. Ebenso sind emotionale Verbundenheit und soziale Beziehungen für soziale Wesen von wichtiger Bedeutung, ja existentiell und können daher sehr wohl in der Abwägung von Handlungen vorhanden sein, so dass sich zu den oftmals negativen Pflichten wie jener, sie nicht zu töten, auch positive gesellen können und auch sollten, Pflichten also, die der Verantwortung für die Erfüllung von Wünschen und Bedürfnissen gerecht werden. Zu einer Verletzung der Beachtung rudimentärer Interessen und das Recht nicht getötet zu werden zählt dazu, kann dies aber nicht führen. Emotionale Bindungen sind existent und auch wichtig aber ihre Reichweite in der Begründung moralischer Normen ist begrenzt.

Hoersters wichtigerer Punkt ist nun die freiwillige Kooperation. Eine Gewaltherrschaft sei mit sehr hohen Kosten verbunden und stets gefährdet. (Vgl. Hoerster, S. 54-56.) Dabei übersieht Hoerster auch hierbei zum Einen das lange Bestehen diverser totalitärer oder artverwandter Systeme in der Geschichte und zum Anderen, dass auch demokratische Systeme kostenintensiv und gefährdet sind. Worauf Hoerster mit diesem Einwand jedoch hinaus will, ist die theoretisch gleiche Machtposition aller, die sich generell in vielen Vertragstheorien als Grundlage findet.
Dabei wird jedoch übersehen, dass weder theoretisch noch praktisch alle in der gleichen Machtposition sind, sondern die Möglichkeiten strukturell bedingt ungleich verteilt sind, so dass wir es immer mit temporären und asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnissen zu tun haben. In solchen Verhältnissen befinden sich in besonders schwerer Form häufig Menschen mit nicht normkonformen körperlichen oder geistigen Verschiedenheiten oder Kinder, usw.
Hoerster geht es dabei aber nicht einmal um eine vorgängige Begründungssituation wie in vielen Vertragstheorien, sondern viel banaler, um das Problem der Vergeltung, welches sich jedoch noch leichter zurückweisen lässt, denn die eben erwähnten Gruppen von Menschen können auch diese Position nicht einnehmen, ebenso wenig wie beispielsweise Sklaven oder Frauen in halbwegs stabilen Unterdrückungsstrukturen. Eine Berücksichtigung der Interessen aller potentiellen Vergelter hilft also auch vielen Menschen wenig. Entscheidend ist vielmehr die Qualität und Quantität an Macht, die die Unterdrücker in sich vereinen können. Sofern diese und die durch sie geschaffenen Strukturen und Weltdeutungsangebote ausreichen, die potentiellen Vergelter in Schach zu halten oder sie gar zu vernichten, hilft dieses Argument demnach wenig.
Der Weg, den Horster geht, zeichnet sich so nicht zuletzt dadurch aus, dass sich immer die Unterdrücker in der Pflicht sehen müssen und seine Theorie somit generell von real vorhandenem Altruismus abhängig sein muss. Hoersters Einwände können also nicht überzeugen.

Dabei stellt sich die Frage, wieso das Prinzip der gleichen Interessenabwägung durch eine Reihe von komplizierten Zusatzannahmen ergänzt werden soll, die nur zu dem Zweck eingeführt worden sind, um einer Gruppe etwas vorzuenthalten, dem Rest aber weiterhin den entsprechenden Status zu sichern. Hierbei ist ein bereits vorgängig existenter Speziesismus als Ursache anzusehen, zumal erneut Grenzen gezogen werden, die sich auf sozial konstruierte Gruppen beziehen und Äußerlichkeiten als hinreichende Bedingungen für diese definieren. Was Hoerster liefert sind vielmehr Erklärungsmodelle für bestimmte Verhaltensweisen auf intuitiver Ebene, statt moralische Grundprinzipien und Begründungen, die kritischer Untersuchung standhalten. Hoerster macht nicht mehr, als aus sophistische Art und Weise seine eigenen Vorannahmen zweifelhaft zu begründen, um im eigenen Konservatismus zu verharren.

*Hierbei geht es um die Frage, welche Annahmen gemacht werden müssen, wenn eine gerechte Gesellschaft entwickelt werden soll. Eine Möglichkeit ist der s.g. “Schleier des Nichtwissens”, der auf den Philosophen Rawls und damit auf vertragstheoretischer Ethiken zurückgeht, die von Martha Nussbaum wiederum für die Tierethik aufgearbeitet worden sind. Siehe dazu Rawls, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt am Main 1979, sowie Nussbaum, Martha Craven: Die Grenzen der Gerechtigkeit. Behinderung, Nationalität und Spezieszugehörigkeit, Berlin 2010.

**Zur generellen Kritik an einem solchen Deskriptivismus empfehle ich Hare, Richard Mervyn: Zur Einführung: Universeller Präskriptivismus, in: Fehige, Ch, Meggle, G.: Zum moralischen Denken, 2 Bde, Frankfurt am Main 1992, S. 31-54.

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