Veganismus – Mehr als nur eine Ernährung

Veganismus – Mehr als nur eine Ernährung

Ein Gespenst geht um. Das Gespenst der veganen Ernährung. Fleischesser*innen wie Veganer*innen haben sich verschworen, die systematische Unterdrückung von Tieren in der Nahrungsindustrie, der Tierversuchsindustrie, der Kleidungsindustrie, der Unterhaltungsindustrie, der Heimtierhaltung und der Jagd auf die Fragen zu reduzieren, ob Fleisch ethisch korrekt ist oder nicht – ob vegan zu leben gesund ist oder nicht. In einer heiligen Hetzjagd haben sich zwei entgegengesetzte Fronten ohne ihr Wissen verbündet. Die Frage danach, ob es in Ordnung ist, Fleisch zu essen, verschleiert die systematische Unterdrückung, denen Tiere ausgesetzt sind, und die Komplexität der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Tierausbeutung stattfindet.

Es werden Scheingefechte geführt. Die Frage, ob der Mensch ein Allesesser ist oder nicht, tangiert nicht die Frage danach, ob man Leder kaufen darf oder nicht. Die Frage, wie viel Fleischkonsum schädlich ist, tangiert nicht die Frage, ob es in Ordnung ist, Tiere zur Unterhaltung einzusperren. Die Frage, ob man Kinder vegan ernähren darf, tangiert nicht die Frage, ob die ökologischen Konsequenzen der Tierhaltung gerechtfertigt sind. Und doch scheint es, als ob gerade fleischessende Menschen mit der Feststellung der Richtigkeit des Fleischkonsums alle anderen tiernutzenden Praktiken gerechtfertigt sehen. Es ist okay, Schnitzel zu essen (weil wir das schon immer getan haben, weil es gesund ist, weil Veganer eh pfoll plöhd sind…), also ist es auch okay, Leder zu kaufen oder in einen Zoo zu gehen. So reduziert man einen gesamten Ansatz, wie ihn der Veganismus vertritt, auf einen Teilaspekt und denkt, mit dem Verweis auf diesen Teilaspekt sei das ganze Anliegen diskreditiert.

Die vegane Bewegung tut gut daran, sich nicht auf diese Reduktion einzulassen. Der Veganismus, dessen Ziel die Beendigung des Herrschaftsverhältnisses über diejenigen ist, die als „Tiere“ klassifiziert sind, verweist nicht (nur) auf eine bestimmte Ernährung. Veganismus bedeutet eine Lebensweise, bei der jegliche Unterdrückung empfindungsfähiger Tiere abgelehnt wird (auch wenn das durch systemische Zwänge nicht immer möglich ist, was allerdings das Prinzip des Veganismus, bei dem es um eine Reduktion des Leidens geht, nicht tangiert).

Den Veganismus auf eine Ernährung zu reduzieren geht auch mit einem unvollständigen Blick auf Freiheit und Toleranz einher. Wer (wortwörtlich) nicht in der Lage ist, über den Tellerrand zu schauen, wird auch nicht verstehen, warum der Verzehr tierlicher Produkte keine reine Privatangelegenheit ist. Es geht nicht um das fertige Endprodukt auf dem Teller, sondern um das Tier, das dafür unterjocht und getötet wurde, um die Menschen, die im Produktionsprozess leiden müssen, um den Einfluss der Tierhaltung auf den Klimawandel usw. Wer die Tötung von Tieren nur unter dem Aspekt der Ernährungsweise betrachtet und vom lebenden Tier abstrahiert, verfehlt eben, warum das Essen von Fleisch keine persönliche Meinung ist oder keine gleichberechtigte Meinung neben anderen auch: Ein Tier zu töten, weil es schmeckt (oder sich gut trägt, oder sich nicht vorhersehbare wissenschaftliche Erkenntnisse davon erhofft werden), ist eine ethische Ansicht, die keineswegs gleich gut begründet ist wie das Nichttöten von Tieren. Sexismus und Rassismus sind auch keine verhandelbaren gleichberechtigten “Meinungungen” (auch wenn sie leider wieder zunehmend gesellschaftsfähig werden). Warum also sollte Speziesismus gleichberechtigt sein?[1]

Veganer*innen aller Länder, lasst euch nicht vor den Ernährungskarren spannen und kritisiert alle Verhältnisse, in und unter denen Tiere unterjocht werden!

[1] Dass der Speziesismus als gleichwertig erachtet wird, liegt darin begründet, dass die Ideologie des Speziesismus gesellschaftlich vorherrschend ist; ein Artikel dazu ist in Arbeit.

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