Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 8: „Blick in den Spiegel: Vom Leid der Massenkinderhaltung!“

Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 8: „Blick in den Spiegel: Vom Leid der Massenkinderhaltung!“

Kurzzusammenfassung:

Die Autoren vergleichen die Massentierhaltung mit dem Schulalltag von Kindern und fordern in logischer Konsequenz die Abschaffung aller Schulen, Kindertagesstätten und Kindergärten. Erziehung sei prinzipiell nicht artgerecht, weshalb Kinder abgeschafft werden müssten. Auch hier gehen die Autoren nicht auf die Kritik an der Massentierhaltung ein und verharmlosen diese durch polemische Vergleiche.

Ihr wisst noch nichts vom Adventskalender? Dann aber schnell zur Einleitung und hier findet ihr die schste Tür des Kalenders „Gurkentruppe: „Große Vegetarier” sind große Vegetariern„.

Blick in den Spiegel: Vom Leid der Massenkinderhaltung!

Dieses Kapitel ist vielleicht das zynischste und fürchterlichste des ganzen Buches. Zumindest aber zeigt es, wes‘ Geistes Kinder die Autoren sind und wie viel Empathie sie für das Leiden anderer (Menschen und Tiere) besitzen.

In Analogie zur Massentierhaltung wird das heutige Schulsystem beschrieben: Kinder werden gegen ihren Willen in Lehranstalten gesteckt, auf viel zu engem Raum gehalten, wider ihre Bedürfnisse behandelt und zu Höchstleistungen gezwungen, und sind ausgelaugt, wenn sie die Schulen verlassen. Durch Übertreibung soll hier ein Bild der Massentierhaltung vermittelt werden, das diese in einem positiven Licht zeichnet. Indem etwas Gewöhnliches und allgemein Akzeptiertes – das Schulsystem – überspitzt dargestellt wird, erfährt die Massentierhaltung ihre Rechtfertigung. Da es absurd ist, die Schulpflicht zu kritisieren, gilt dasselbe für die Massentierhaltung. Tierrechtler*innen werden lächerlich gemacht, indem deren Forderungen einfach auf das Schulsystem übertragen werden.

Artgerecht gehaltene Kinder

Weil niemand ernsthaft an der Richtigkeit von Schulen zweifeln würde, kann auch niemand vernünftigerweise an der Massentierhaltung zweifeln. Über 60 Milliarden Tiere, die jährlich geschlachtet werden, Tiere, die so gezüchtet werden, dass sie unter ihrem Körpergewicht zusammenbrechen, Tiere, die mit Tausenden Artgenossen auf engstem Raum gehalten werden, Tiere, deren Hoden entfernt oder deren Schnäbel kupiert werden, damit sie besser schmecken oder damit sie sich nicht gegenseitig verletzen, weil sie kein soziales Leben entwickeln können, Tiere, deren überzüchtete Euter ihnen Schmerzen bereiten und die von ihrem Nachwuchs getrennt werden – für die Autoren ist alles nur ein Witz. Und sie beschränken sich nicht auf die Massentierhaltung. Das System Schule – also die Tierhaltung – sei nicht reformierbar. Die Spirale der Gewalt drehe sich weiter und Kinder werden unterdrückt – also müsse die Schule komplett abgeschafft werden. Eine Persiflage auf die Debatte des Reformismus und des Abolitionismus, also der Frage, ob Reformen gut oder schlecht sind für die Rechte und Befreiung der Tiere.
Folgerichtig kommen die Autoren zu dem Schluss: „Erziehung ist nicht artgerecht. Der einzige ethisch konsequente Weg zur Vermeidung von Kinderleid ist die Abschaffung aller Kinder“. Die Ironie soll jene auf’s Korn nehmen, die fordern, die Tierhaltung komplett abzuschaffen. Die Autoren setzen in unzulässiger Weise das Schulsystem mit der Massentierhaltung gleich, spitzen die Analogie zumindest in absurder und unredlicher Weise zu. Das ist besonders verwerflich, da sie mit aller entschiedener Härte (zurecht) gegen eine Gleichsetzung der Massentierhaltung mit der Schoah zu Felde ziehen (Kapitel 52). Aber da es ja nur Tiere sind, kann man sich auch mal einen Scherz erlauben. So wollen die Autoren suggerieren, dass die Tiere es doch eigentlich gar nicht so schlecht haben: Sie bekommen Futter, haben ein Dach über dem Kopf, werden vor Feinden geschützt und dürfen überhaupt froh sein, dass ihnen das Leben geschenkt wurde. Es wurde beschrieben, wie das Leben in der Massentierhaltung abläuft – so dass diese positive Darstellung nicht mehr als eine Ungeheuerlichkeit ist. Erst Recht, wenn man bedenkt, dass Schulkinder Rechte haben, die die Tiere in der Massentierhaltung nicht haben, und dass der grundsätzliche Zweck der Schule darin besteht, Kindern Bildung zu vermitteln, während der Zweck der Tierhaltung darin besteht, Tiere zu töten und zu nutzen, um ihre Körper zu verwerten.

Aber nicht nur die Beschönigung der Massentierhaltung lässt den lebensverachtenden Charakter der Autoren offenbar werden. Es ist die Analogie zum Schulsystem selbst, die zeigt, dass die Autoren auch mit Menschen kein Mitleid empfinden können, so dass die Autoren die Aussage Schopenhauers bestätigen:  „Mitleid mit den Tieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, daß man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Tiere grausam ist, könne kein guter Mensch sein“. 1 Spätestens seit Michel Foucault ist klar, dass die Schule (wie das Polizeisystem, die Gefängnisse, die Arbeitsfabriken, das Militär) eine Disziplinaranstalt ist. Louis Althusser betrachtete die Schule sogar als die entscheidende ideologische Institution, die die Religion abgelöst habe. 2
Es ist de facto der Fall, dass Kinder im heutigen Schulsystem in ihren Bedürfnissen eingeschränkt und an die Vorgaben des System angepasst, d.h. gefügig gemacht werden. Nun mag die Zeit der Prügelstrafe vorbei sein, aber es wird niemand bestreiten können, dass in der Schule Kinder noch immer gemaßregelt werden – und das nicht immer auf sanfte und rücksichtsvolle Art und Weise. Schreiende Lehrer*innen, mobbende Schüler*innen, Lehrinhalte zur (Re-)Produktion neoliberal-kapitalistischer Subjekte – man muss aus der Schule keinen Ort des Grauens machen, um zumindest die Frage zu stellen, ob die Art und Weise, wie Kinder und Jugendliche heute in der Schule behandelt werden, ihren Bedürfnissen angemessen ist und ihre Rechte nicht unnötig beschneidet.

Es ist keine absurde Frage, ob der Leistungsanspruch in den Schulen nicht viel zu hoch ist, ob das zeitige Aufstehen die Kinder nicht in ihrer Entwicklung, zumindest aber in ihrem Wohlbefinden, beeinträchtigt. Wer versucht, die Probleme, die in den Schulen herrschen, auszublenden, und ein rosiges Bild des Schulsystems zeichnet, und dieses auch noch zur Veranschaulichung für die Massentierhaltung nutzt, um diese in ein positives Licht zu rücken, der zeigt nicht nur, dass er jegliche Empathie und Menschlichkeit verloren hat, sondern auch, dass ihm Menschen wie Tiere gleichermaßen egal sind.

Literaturtipps

1 Schopenhauer, Arthur: Preisschrift über die Grundlage der Moral. In: Lütkehaus, Ludger (Hrsg.): Arthur Schopenhauer – Werke in fünf Bänden. Band III. Zürich: Haffmanns Verlag AG 1988, S. 599.

2 Althusser, Louis: Ideologie und ideologische Staatsapparate. Hamburg: Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung 1977, S. 108 – 153.

Foucault, Michel: Das Subjekt und die Macht, in: Rabinow etc., Dreyfus, Hubert L. / Rabinow, Paul (Hg.): Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. 2005 Seiten 243 – 265.

Gruen, Arno (2014): Wider den Gehorsam, Stuttgart: Klett-Cotta

Gruen, Arno (2009): Der Wahnsinn der Normalität, 16. Aufl, München: DTV