Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 6: „Unbarmherzig: Wie Tierphilosophen gegen die Lebensfreude zu Felde ziehen“

Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 6: „Unbarmherzig: Wie Tierphilosophen gegen die Lebensfreude zu Felde ziehen“

Kurzzusammenfassung:

Die Autoren argumentieren, dass den Tieren Glück geraubt wird, wenn sie gar nicht erst geboren werden. Wenn es wirklich nur ums Leid ginge, dann könnten Drogen im Futter der Tiere Wunder wirken. Doch die Tierrechtler lehnen die „Nutztier-„Haltung generell ab, wollen also die Geburt der Tiere verhindern und dadurch mit „unbarmherziger Härte“ auch deren potenzielles Glück.

Ihr wisst nicht worum es geht? Hier geht es zur Einleitung und hier geht es zur vierten Tür des Kalenders „Unsensibel: Pflanzen empfinden nichts, also darf man sie essen„.

„Unbarmherzig: Wie Tierphilosophen gegen die Lebensfreude zu Felde ziehen“

Die Freude des Lebens gäbe es eben im Austausch für das Leid der Existenz. Und diese Freude vorzuenthalten sei letztlich grausam.

Tierrechtler lägen falsch. Die Nutztierhaltung produziere nämlich eine Menge Freude, die es andernfalls in der Welt nicht gäbe. Da sei das bisschen Leid doch zu vernachlässigen, so die Autoren um Pollmer. Und diese Freude könne man sehen oder zumindest können dies die Autoren. Und dies besser, als die Ethologen, Philosophen und Biologen, deren Forderung von Tierrechten ja auf einem zu positiven Bild, auf einer Vermenschlichung beruhe. Pollmer und Co. hingegen können jene Freude mit scheinbar ungetrübtem Blick im Stall entdecken, wenn Schweine im Koben „aneinander gekuschelt auf einem Haufen liegen“ oder sie einem „Rind beim entspannten Wiederkäuen“ zusehen, wobei der Eindruck entstünde, dass diese Tiere dies „mit großem Behagen“ tun. Der eingebildete Stallbesuch, die pollmersche Safari, der pollmersche Selbstgerechtigkeitskolonialismus.

"Glückliche" Nutztiere
„Kuschelnde“ Schweine

Laut der Autoren könne es nun entsprechend nicht nur um Leid gehen, denn dann könnte man auch Tieren Drogen ins Essen mischen, die sie ihr Leid vergessen lassen. Abgesehen von der Ignoranz wichtiger Punkte wie der Problematik der Instrumentalisierung der Tiere und von der zynischen, weil die gegenwärtigen Verhältnisse legitimierenden Aussage, dass das Leben als Nutztier ja nicht nur Leiden sei und es auch mal weniger unangenehme Momente gäbe, verkaufen die Autoren hier zugleich etwas als ihre bahnbrechende Erkenntnis, dem sich viele Tierrechtler schon lange angenommen haben. Denn natürlich sind Leidensfähigkeit und Leidvermeidung nicht die einzigen Kriterien für moralische Berücksichtigung und schon gar nicht das alleinige Kriterium für alle zugesprochenen Rechte. Das gilt übrigens auch für den Menschen, bei dem sich auch nicht alle Rechte aus einem einzigen Prinzip ableiten. Die Frage danach, was ein gelungenes und gutes Leben ist, ist nicht identisch mit der Frage, welche moralischen Rechte andere Lebewesen haben. Genau diese beiden Dimensionen fallen bei den Autoren aber zusammen. Im Grunde zeigen die Autoren hier wieder einmal, dass sie ein zentrales Prinzip viel zu stark vereinfachen und nicht verstanden haben. Leben bedeutet immer auch Leiden und nicht alles Leid ist ausschließlich schlecht oder möglichst zu verhindern. Daraus aber zu schlussfolgern, dass man selbst Ursache des Leids sein dürfe oder gar nichts getan werden soll, ist genauso unsinnig, wie zu fordern, wenn man schon nicht alle vorm Ertrinken retten können, dann doch bitte keinen, insbesondere dann, wenn das Ertrinken der Anderen völlig unnötig für das eigene Leben ist.

Wie wenig durchdacht die Position auch hier ist, zeigt sich darin, dass sie sich gegen die Autoren selbst wendet. Denn auch diese gehen davon aus, dass zwar eben nicht alles Leid vermeidbar sei, manches aber schon und einiges sogar auch vermieden werden soll! Denn, so die Autoren, „[w]enn man möglichst viele von ihnen [den Tieren, Anm.] unter anständigen Bedingungen hält, kommt eine große Menge Wohlbefinden und Freude dabei heraus”. Woher sie diese Gewissheit haben, bleiben sie schuldig, wie die Antwort darauf, was denn anständig hier bedeuten soll. Was die Autoren zudem zu übersehen scheinen, ist, dass sie damit bereits festlegen, dass doch etwas gegen Leid getan werden muss, zumindest bis zu jener Anständigkeit. Bis wohin diese reicht oder wie das im Rahmen ihrer eigenen Thesen begründet werden kann, wird nicht erwähnt. Vielmehr gehen die Autoren schlicht von einem scheinbar anerkannten und ausreichend schwammigen Standpunkt aus, den die Leser*Innen einfach schlucken müssen. In der Philosophie nennt sich so etwas Fehlschluss, je nachdem wie es hier gemeint sein soll, einen naturalistischen oder einen deskriptivistischen.

Das eigentliche „Argument“ des Kapitels ist nun aber, dass dem Tier Freude vorenthalten werde, wenn es nicht zur Existenz gebracht wird. Auch hier wurde die Idee nicht zu Ende gedacht. Erstens würde dies in der Konsequenz bedeuten, so viele Wesen wie möglich zu produzieren, um die Anzahl an Freude in der Welt zu erhöhen. Das aber würden die Autoren ablehnen, denn das Argument soll nur dafür taugen, ihre Gewohnheiten zu rechtfertigen, ihre Freuden. Die Freude des Tieres ist instrumentell, sie ist nur Mittel. Das Verbot der reinen Instrumentalisierung, dass sich bei Kant findet, kann durchaus auch auf Tiere angewendet werden. Aber sich mit diesem ethischen Ansatz auseinanderzusetzen würde den Autoren ja nicht in den Kram passen. Zweitens ist dann die Frage, wie viel Freude muss gegen das Leid gegengerechnet werden? Reicht ein schöner Tag für ein Leben in Leid? Eine solch primitiver Utilitarismus, wie er durch die Autoren präsentiert wird, müsste jene Frage beantworten, denn allein die Möglichkeit, Freude zu empfinden, rechtfertigt nicht das sichere Leiden. Drittens aber tun die Autoren hier so, als könne einem noch nicht existierenden Wesen ein Unrecht geschehen, als ginge ihm etwas verloren, als hätte das Schwein aus seiner Nichtexistenz heraus das Interesse und Bedürfnis nach Existenz, als würde es wählen wollen. Das aber ist absurd. Wer noch nicht existiert, hat keine Interessen und Bedürfnisse, wer aber existiert, hat das Interesse möglichst viel Freude und möglichst wenig Leid zu empfinden und das nicht im Rahmen dessen, was jemand anderes für angemessen hält, um seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, noch dazu, wenn diese derart unhinterfragt bleiben.

Neben den vielen bereits aufgeworfenen Fragen bleiben uns die Autoren vor allem die Antwort darauf schuldig, wie sie es selbst mit der Verhütung halten. Schließlich – und das haben die Autoren ja “sauber” dargelegt – ist jedes nicht zur Welt gebrachte Leben vermiedenes Glück.

Lesetipps

Ursula Wolf: Das Tier in der Moral, Frankfurt am Main 1990.

Ursula Wolf (Hrsg.): Texte zur Tierethik, Stuttgart 2008.

Martha C. Nussbaum: Die Grenzen der Gerechtigkeit, Berlin 2010.

David Benatar: Better Never To Have Been. Oxford: UP 2008.

Peter Singer: Praktische Ethik, erw. Aufl., Stuttgart 2013.

Richary Mervyn Hare: Moralisches Denken. Seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, Frankfurt am Main 1992.

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