Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 20: „Zahlenspiele: Früher gab es nur sonntags Fleisch – den Sonntagsbraten“

Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 20: „Zahlenspiele: Früher gab es nur sonntags Fleisch – den Sonntagsbraten“

Kurzzusammenfassung:
Im heutigen Kapitel beschäftigen wir uns mit dem Sonntagsbraten. Laut Pollmer und Co stimmen die allgemeinen Wahrheiten darüber nicht, denn es gab eben nicht nur sonntags einen Braten. Viel mehr idealisiere die „Mär vom Sonntagsbraten“ die schlimmen Zustände zu Beginn der Industrialisierung und überhaupt ist der Konsum von Fleisch in anderen Ländern doch eh viel höher als bei uns.
Kommt abermals mit auf eine abenteuerliche Reise in die pollmersche Logikkette und lest unseren zwanzigsten Beitrag zum gelungensten Veganismus-Buch des Jahres 2015: „Don’t Go Veggie!“

Ihr wisst nicht worum es geht? Hier geht es zur Einleitung und hier geht es zur neunzehnten Tür des Kalenders „Unmöglich: Der Sojaanbau für die Schweine ruiniert den Regenwald„.

Zahlenspiele: Früher gab es nur sonntags Fleisch – den Sonntagsbraten

Früher war alles besser und heute auch, solang ich recht habe.

Nachdem sich Pollmer und Kollegen nun schon als Psychologen, Ernährungswissenschaftler, Verhaltensforscher versuchten und mit Tesla zu Tisch saßen, ist nun die Vergangenheit dran und man versucht sich als Historiker. Es geht um „die Legende vom Sonntagsbraten“, die in Veggiekreisen, so behaupten die Autoren, gern als Argument gegen den gegenwärtigen als zu hoch beschriebenen Fleischkonsum angeführt wird. Würde jemand tatsächlich diesen Einwand als Argument vorbringen wollen, so ist dieser Einwand einer „Ursprünglichkeit“ völlig korrekt zurückzuweisen, allerdings völlig unabhängig davon, ob die Beschreibung der Vergangenheit diesbezüglich geschichtswissenschaftlich korrekt ist. Historische Gegebenheiten sind eben NICHT einfach übertragbar. Das scheinen die Autoren gern übersehen zu wollen, sofern es ihrem Ziel entspricht.
(Siehe dazu auch unsere Artikelreihe zum Natürlichkeitsargument: https://hosting187280.ae8d0.netcup.net/VAC/natuerlichkeit/)
Der Begriff des Sonntagsbratens idealisiere nun „schlimme Zeiten zu Beginn der Industrialisierung und nach den Kriegen“. Dem werden scheinbar „Fakten“ gegenübergestellt, nämlich Zahlen aus „verlässlicher“ Quelle ab 1910, die den Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch und Wurst darstellen sollen. Nicht nur wird eine Nachvollziehbarkeit wieder dadurch erschwert, dass die einzelnen Zahlen nicht mit Quellenverweisen versehen sind, es findet sich zudem selbst in den Literaturangaben am Ende des Kapitels nicht eine einzige ausdrückliche geschichtswissenschaftliche Untersuchung zu historischen Ernährungssituationen. Das ist nicht zuletzt auch deswegen so problematisch, weil die Autoren nicht mit Erklärungen und Deutungen der Zahlen sparen. Im Prinzip gäbe es laut diesen aber nur zwei wichtige Aspekte. Erstens sei der Krieg allein daran schuld, dass die Zahlen zurückgingen und zweitens sind diese auch dann noch viel zu niedrig, weil der Anteil an Kindern ja größer gewesen sei als heute und die ja nicht so große Stücke essen konnten.

Außerdem habe Fleisch „früher“ als „besonders gesund“ gegolten. Was mit diesem schwammigen Begriff „früher“ meinen, wird wiederum ebenso wenig erklärt, wie auch Zahlen für den „Beginn der Industrialisierung“ geliefert werden, über den sie ja ebenfalls meinen Aussagen treffen zu können. Früher ist eben nicht gleich früher. Um mal tatsächlich ein Zitat einer Quelle zum Thema „Fleisch galt als besonders gesund“ eines „Früher“ zu liefern:

„Es ist die menschliche Natur in diesen Europäischen Ländern dermassen an das Fleischessen gewohnet / daß sich mancher schwerlich einen Tag davon enthalten kan / es nehret auch unter allen Speisen am allerbesten / gibt aber ein solches Nutriment, welches leichtlich der Corruption unterworfen ist / wie denn jedwedes frisches Fleisch […] alsbald faul und madig wird / woraus denn abzunehmen / daß es eben ein so leicht verderbliches Nutriment, wie es selbsten ist / dem Menschen mittheilen müsse / und also ist kein Wunder / daß fast niemand bey so faulhafftigem Nutriment sein Leben auf hundert Jahr brinden kan / und dargegen die Menschen vor der Sündflut / da entweder das Fleisch gar nicht / oder doch sehr wenig geessen worden / so viel hundert Jahr gelebt / und so man sich auch noch itzo wo nicht gänzlich / jedoch so weit abgewehnete / daß man es selten / und dessen wenig ässe / würde mancher zwar keinen so fetten Wanst wie itzo haben / aber dargegen auch weniger Kranckheiten und viehische Laster fähig seyn / wie itzo bey dem häuffigen geilen Fleischessen geschicht / wie wir auch an andern Thieren und Geschöpffen / die von einem mageren Nutriment leben / klärlich beobachten können / denn ein einige magerer Hirsch kan wol zwantzig feiste Küh ein nach der andern überleben / ein feistloser Eichbaum wird unterschiedliche feiste Obstbäume / so nacheinander gepflantzt würden / überdauren / denn die geile Feistigkeit macht nicht allein den Menschen in ihren innerlichen Nahrungsgängen endlich verstopfte Zukleisterungen / und eine darazs erfolgende allmehlige Verwelckung / sondern auch den Bäumen / in ihren Wurtzeln und Rinden […].“ (Johannes Hiskias Cardilucius: Neue Stadt- und Land-Apothek, Franckfurt u.a. 1670, S. 1091f.)