Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 15: „Dämlich: Der Kampf gegen die Diskriminierung von Tieren (Speziesismus) ist die logische Fortsetzung des Kampfes gegen Rassismus und Sexismus“

Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 15: „Dämlich: Der Kampf gegen die Diskriminierung von Tieren (Speziesismus) ist die logische Fortsetzung des Kampfes gegen Rassismus und Sexismus“

Kurzzusammenfassung:

Nachdem die Autoren um @Udo Pollmer schon so ziemlich alle Themengebiete angerissen haben, folgen nun auch Antirassismus, Antisexismus und Antispeziesismus. Antispeziesismus ist laut Autoren unlogisch, da eine Asymmetrie zwischen Tier und Mensch zugrunde liegt, denn erstere können keine Verträge schließen.
Um die scheinbar immanente Menschenfeindlichkeit des Veganismus zu verdeutlichen, wird ein Zitat von Alice Schwarzer angebracht, in dem sie sagt „Wer […] [den] Respekt nicht vor dem Tier hat […] auch vor Ratten und Kakerlaken […] der hat ihn auch nicht vor dem Menschen“. Die Autoren schließen daraus, dass Schwarzer andere Frauen auf die Stufe von Ungeziefer stellt.
Außerdem meinen die Autoren einen logischen Fehlschluss entdeckt zu haben, denn wenn Menschen andere Tiere nicht zu ihrem Vorteil nutzen würden, dann würden sie sich selbst diskriminieren und „an diesem Widerspruch verschlucken sich alle Tierrechtler“.
Kommt abermals mit auf eine abenteuerliche Reise in die pollmersche Logikkette und lest unseren fünfzehnten Beitrag zum gelungensten Veganismus-Buch des Jahres 2015: „Don’t Go Veggie!“

Ihr wisst nicht worum es geht? Hier geht es zur Einleitung und hier geht es zur vierzehnten Tür des Kalenders „Diskriminierend: Spinnen und Schaben kennen keinen Schmerz„.

Dämlich: Der Kampf gegen die Diskriminierung von Tieren (Speziesismus) ist die logische Fortsetzung des Kampfes gegen Rassismus und Sexismus

In diesem Kapitel geht es zur Sache. Nicht nur, dass den Veganer*innen mal jemand erklärt, was es mit Menschenrechten und gegenseitiger Anerkennung von Rechten auf sich hat, sondern die Veganer*innen werden als die eigentlichen Speziesist*innen dingfest gemacht! Ziel dieses Kapitels ist es, zu zeigen, dass Antispeziesismus nicht die notwendige Folge von Antirassismus und Antisexismus ist, da Rechte an Gegenseitigkeit gekoppelt sind, die Tiere nicht leisten können. Auch in diesem Kapitel können wir wieder viel über logische Fehlschlüsse und falsche logische Voraussetzungen lernen.

Das Eingangsargument ist einfach: Menschenrechte zielen auf gleiche Berechtigung, und können damit auch vor Frauen und Andersfarbigen nicht Halt machen, auch wenn dies geschichtlich vorübergehend der Fall gewesen sein mag. Nun hat leider jemand vergessen, den Milliarden Frauen und Andersfarbigen, die in patriarchalischen und rassistischen Gesellschaften leben, das mitzuteilen. Wieder einmal sind die Autoren gegen das Leiden von Menschen immun und betrachten die Frage der Gleichberechtigung auf eine westlich zentrierte Weise. Aber auch im Westen ist die Gleichberechtigung noch lange nicht erreicht. Mehr dazu weiter unten.
Da Menschenrechte nur für Menschen – und damit auch für Frauen und Andersfarbige – gelten, gelten sie logischerweise nicht für Tiere. Und können das auch gar nicht, denn: „Gleichberechtigung setzt Symmetrie voraus“. Das ist natürlich vollkommen falsch und vernachlässigt jegliche Differenz zwischen Menschen und verfehlt die Begründung der Menschenrechte komplett. Die Idee der Menschenrechte basiert auf der Idee, dass eben KEINE Symmetrie gegeben sein muss. Und das ist nur folgerichtig, da sonst Säuglinge oder Menschen mit bestimmten geistigen Beeinträchtigungen schlechte Karten hätten. Die Idee der Menschenrechte ist eben nicht daran gebunden, dass ein Rechtsträger auch Einsicht in seine Rechte besitzt. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – egal, ob eine Symmetrie vorliegt oder nicht.

Fundamentale ethische Rechte sind auch ohne Vertragsfähigkeit gegeben

Es ist richtig: Im Sinne eines vertragstheoretischen Ansatzes ist die Befreiung von Tieren nicht die notwendige Konsequenz der Befreiung von Frauen und Andersfarbigen. Die Autoren wissen jedoch natürlich ganz genau, dass Veganer*innen und Antispeziest*innen NICHT auf der Grundlage der Vertragstheorie oder des Rechts argumentieren, sondern auf der Grundlage der Zuschreibung von Interessen. Natürlich hat man hier keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den entsprechenden Argumenten zu erwarten, sondern die Insektenfreunde Pollmer, Alfs und Keckl geben sich mit dem Hinweis zufrieden, dass Spinnen, Schnaken und Wespen in Schlafzimmern erschlagen und damit deren Interessen missachtet werden, was den Antispeziesismus wohl ad absurdum führen soll. Eine Beschäftigung mit dem Ansatz des Antispeziesismus wäre wohl auch zu viel verlangt. So hätte man sich mal mit dem Namensgeber Richard Ryder auseinandersetzen können, der den Begriff des „Speziesmus“ prägte: „In 1970, I coined the term ‘speciesism’ to describe the prejudice against other species, and to draw the analogy with other prejudices like racism and sexism. The point I was trying to make is that we are all related. All species are related biologically and through evolution“. Was ist mit Insekten, hören wir die Autoren an dieser Stelle einwenden, und auch da hat Ryder eine Antwort: „The important thing about the other species of animal is that they can suffer pain“. Die Schmerzempfindung ist das entscheidende Kriterium, das es ermöglicht, die Diskriminierung von Frauen und Andersfarbigen mit derjenigen von bestimmten Tieren zu vergleichen.

Diesen Punkt hat der Philosoph Peter Singer in seiner Praktischen Ethik weiter ausgeführt. Für Singer bedeutet das Einnehmen eines moralischen Standpunktes, die eigenen Interessen nicht deshalb höher als gleichartige Interessen zu bewerten, weil es die eigenen Interessen sind. Vielmehr sind gleiche Interessen gleich zu behandeln. Und gleiche Interessen ungleich zu behandeln stellt eine Diskriminierung dar, ob diese nun auf der Grundlage der Hautfarbe, des Geschlechts oder der Spezies basiert. Der Interessensbegriff bei Singer ist an Empfindungsfähigkeit gekoppelt, so dass der Einwand der Insekteninteressen fehl am Platze ist. Und selbst wenn erwiesen würde, dass Insekten empfindungsfähig sind, so würde damit nicht der Antispeziesismus in Frage gestellt, sondern nur erweitert werden.

In diesem Sinne ist der Antispeziesismus selbstverständlich die logische Konsequenz von Antirassismus und Antisexismus. Ob die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe, des Geschlechts oder der Spezies von statten geht – stets handelt es sich um eine beliebiges und willkürliches Kriterium. Doch wir erfahren: „Der Begriff der ‚Diskriminierung‘ ergibt außerhalb der sozialen Sphäre von Menschen keinen Sinn“. Wir haben gerade gezeigt, dass der Begriff durchaus Sinn in der nichtmenschlichen Sphäre ergibt. Dennoch bleibt jener Satz so für sich stehen, und wird durch ein Manöver zu begründen versucht, das nur allzu bekannt ist: Der Verweis auf die Natur. Wir erfahren, dass Menschen eben auch Naturwesen sind und die Nahrungskette die Basis der Evolution ist. Wenn wir also „Nutz“tiere nutzen, dann diskriminieren wir diese „genauso wenig wie Löwen Zebras diskriminieren“! Gut gebrüllt, Löwe! Die Autoren freilich verstricken sich damit heillos in Widersprüche. Nicht nur, dass sie von der moralisch-kulturellen Ebene unzulässig auf die Ebene der Natur wechseln und Moral aus der Natur zu begründen versuchen, nein, sie erkennen nicht mal, dass genau diese Naturalisierung die Grundlage aller anderen Diskriminierungsformen gewesen ist. Rassismus und Sexismus basier(t)en immer auch darauf, einen natürlichen Unterschied zwischen den Rassen und den Geschlechtern wesensmäßig zu etablieren. Den Autoren ist nicht bewusst, dass sie mit dieser Argumentation die Büchse der Pandora öffnen und Sexismus und Rassismus wieder salonfähig machen.
In diesem Kapitel also gingen die Autoren aus von der Vertragstheorie, die sie (unbegründet) als einzig relevante Ethiktheorie festlegten, versuchten, einen Interessensansatz durch den Verweis auf Insekten ad absurdum zu führen und verschmolzen Kultur und Natur in einer unzulässigen Weise. Im Zuge dieser Verrenkungen, argumentativen Fehlschlüsse und Unbedarftheit kann man natürlich zu dem Schluss kommen „Wer homo sapiens verbietet, seine evolutionären Vorteile zu nutzen, diskriminiert den Menschen aufgrund seiner Artzugehörigkeit. An diesem Widerspruch verschlucken sich alle Tierrechtler. Sie sind die schlimmsten Speziesisten“. Nun, aus Falschem folgt Beliebiges. Wer festlegt, dass der homo sapiens (und an dieser Stelle sei auf die Schwierigkeit des Artbegriffs hingewiesen) moralisch einen evolutionären [sic!] Vorteil besitzt, der kann hier natürlich einen Widerspruch sehen. Wer nachdenkt, der kann aber auch zu dem Schluss kommen, dass es falsch ist, aus einem evolutionären Vorteil ein moralisches Urteil zu konstruieren.

Auch die speziesistische Mauer muss noch fallen

Die Autoren offenbaren in diesem Kapitel ihre durch und durch unkritische Sichtweise auf das bestehende System. Die Gleichheit der Menschen wird vorausgesetzt, da sie ja formal etabliert ist. Rassistische Unruhen und Diskriminierungen, die in den USA und in Europa in den letzten Jahren enorm zugenommen haben, sexuelle Übergriffe auf Frauen oder der Tod tausender Flüchtender scheinen im Horizont der Autoren nicht vorzukommen. Was nützt die rechtliche Gleichstellung von Frauen, wenn diese immer noch deutlich weniger Geld bekommen als Männer oder wenn Heimarbeit und Kindererziehung gesellschaftlich nicht entlohnt werden? Was nützen die Menschenrechte, wenn unsere Regierung Regime hofiert, die Menschenrechtsverletzungen begehen, und Waffenexporte in selbige genehmigt? Was nützt die Gleichberechtigung, wenn Menschen anderer Hautfarbe und Religionen schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt haben? In einer kapitalistisch-liberalen Gesellschaft ist die Ungleichheit immanent und erstreckt sich auf Menschen und Tiere. Solange nur wenige über die Produktionsmittel verfügen und Milliarden an Kapital anhäufen können, solange werden Menschen und Tiere diskriminiert werden. Diese Gesellschaftsordnung produziert notwendig Ungleichheit, da sie auf diese strukturell angewiesen ist. Menschen und Tiere werden zu Produktionsmitteln, zu Produktionseinheiten und/oder Waren degradiert, die nur in Bezug auf die Ökonomie Wert besitzen. In diesem Sinne ist die Befreiung der Tiere nicht ohne die Befreiung der Menschen (und umgedreht) zu bewerkstelligen.

Literaturtipps

Martha C. Nussbaum: Die Grenzen der Gerechtigkeit, Berlin 2010.

Rude, Matthias: Antispeziesismus. Stuttgart: Schmetterling 2014.

Singer, Peter: Praktische Ethik. 2. Auflage. Stuttgart: Reclam 1994.
http://www.tierrechtsgruppe-zh.ch/wp-content/files/Marxismus_und_Tierbefreiung_Antidot.pdf
http://www.tierrechtsgruppe-zh.ch/wp-content/files/Flugblatt_1_Mai_2016_HP.pdf