Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 13: „Von wegen: Gnadenhöfe sind eine Gnade für das Vieh.“

Adventskalender „Don’t go Pollmer!“ Tür 13: „Von wegen: Gnadenhöfe sind eine Gnade für das Vieh.“

Kurzzusammenfassung:

Die Autoren unterstellen in diesem Kapitel „Tierschützern“ eine Art Götterkomplex. Denn da Gott gerade scheinbar keine Zeit hat, liegt es in den Händen der TierschützerInnen, für Gnade auf Erden zu sorgen. Doch dabei verwehren sie den Nutztieren auf den Gnadenhöfen nur „das Recht […] ordnungsgemäß geschlachtet und verspeist zu werden.“ Sie führen Beispiele von schlecht geführten Höfen an. Doch am Geld kann es in diesen Fällen nicht gescheitert sein, denn schließlich bräuchten „Tierrechtler […] keine Spenden, sondern therapeutische Hilfe“.
Lest die Erwiderung von Sarah Heiligtag, eines der Gründungsmitglieder vom Lebenshof Narr.

Ihr wisst nicht worum es geht? Hier geht es zur Einleitung und hier geht es zur zwölften Tür des Kalenders „Weltfremd: Wer Tiere wirklich liebt, tötet sie nicht„.

Von wegen: Gnadenhöfe sind eine Gnade für das Vieh.

Spätestens bei diesem Kapitel darf mensch sich fragen, mit wem die Autoren eigentlich knatschig sind. Der Verdacht kommt auf, dass irgendeine, eventuell vegan lebende, vielleicht sogar bibelfeste, Laus den Autoren über die Leber gelaufen ist.
„Da Gott wegen Überarbeitung im Gnadensegment unpässlich geworden zu sein scheint, fühlen sich Tierschützer berufen, seinen Job zu übernehmen“. Was mit dieser sinnentleerten Aussage bezweckt werden soll, bleibt schleierhaft. Offensichtlich geht es um keine ernstgemeinte Kritik, sondern maximal um ein Ablenkungsmanöver. Aber eben nur im besten Falle.

Mit “Gnade” hat ein Gnadenhof tatsächlich wenig zu tun

Schade eigentlich, denn es hätte ja die Chance nach ernsthafter Kritik bestanden, so beispielsweise an der Namensgebung „Gnadenhof“ oder an der Idee, die Welt verändern zu wollen. Zum Beispiel hätte gefragt werden können, warum Tiere, die nie etwas verbrochen haben, „Gnade“ verdient hätten. Das wäre humorvolle und berechtigte Kritik an dem Begriff eines solchen Hofprojektes. Wenn auch nicht sehr lustig, dann doch zumindest ein bisschen. Oder die Autoren hätten fragen können, warum eine Gruppe engagierter Menschen die Welt verbessern und die Humanität vorantreiben wollen, wenn doch eh alles „für die Katz“ und viel zu spät ist. Auch das wäre lustig und berechtigt gewesen, wenn auch nicht sehr.
Doch lieber werden Sätze rausgehauen, die die Leser*innen vor den Kopf stoßen sollen. Oder wollen sie von den wahren Schauplätzen ablenken? „Auf Gnadenhöfen wird den Nutztieren das Recht vorenthalten, ordnungsgemäß geschlachtet und verspeist zu werden; stattdessen dürfen sie nach allen Regeln der Gnadenkunst krepieren“.

Diesen Schweinen wird auf dem Lebenshof Narr laut den Autoren „das Recht vorenthalten, ordnungsgemäß geschlachtet und verspeist zu werden.“

Wo Ethik erprobt wird, wird nicht krepiert

Hier mag zunächst an Satire oder blanken Hohn gedacht werden, spiegelt sich in diesem Satz ja eigentlich die Perversität der „modernen“ „Nutz”-tierhaltung. Das Recht auf Leben und Unversehrtheit, das in einer umfassenden Ethik allen leidensfähigen Lebewesen gemeinsam ist, wird hier in sein Gegenteil verkehrt. Korrekterweise sprechen die Autoren von krepieren, nur wiederum (bewusst?) im falschen Kontext. Krepiert wird in der “Nutz”-Tierhaltung, unter grausamen Bedingungen, tagtäglich, millionenfach und mit sehr jungen Jahren (die meisten Tiere sind kaum ein paar Monate alt, wenn sie zu Nahrungszwecken getötet werden, praktisch gesehen sind es Kinder). Doch was zunächst nach gesuchter Satire aussieht, ist wohl eher ein Ablenkungsmanöver durch die Lächerlichmachung von seriösen und notwendigen Anliegen.
Die Frage kommt auf, warum überhaupt ein Kapitel über Gnadenhöfe, denn ebenso wenig wie die Autoren einen Gnadenhof jemals besucht haben, sind sie der Frage nach Sinn und Zweck eines solchen Hofes nachgegangen. Oder wird vielleicht das Sequel der Autoren die Lösung bringen? „don’t follow us, you stupid piece of a reader“ zu Deutsch „fall doch nicht auf alles rein, wir wollten nur sehen wie weit wir gehen können“ oder so.

Die Angst vor Veränderung

Doch bei genauem Hinschauen kommt der Verdacht auf, dass wir es hier mit einer unverarbeiteten Angst zu tun haben! Nicht nur mit einem verzweifelten Versuch, das immense Tierleid der Nutzungsindustrie durch ein Ablenkungsmanöver via Umkehrargumentation zu legitimieren, sondern mit der ureigenen Angst vor der Realität So wird im Detail ein Fall geschildert, in dem ein gerettetes Huhn, länger als leidfrei möglich, am Leben gehalten wurde. Mit diesem angeblichen Beispiel von Grausamkeit sollen die Millionen Hennen, die tagtäglich in der Nutzungsindustrie leiden, überspielt werden, was irgendwie nicht recht gelingen mag, zumal als Zeuge der armen Henne ein Jäger zitiert wird. Es mutet absurd an, dass sich die Autoren überhaupt die Mühe machen, nach grausamen Beispielen aus der „Gnadenhof-Welt“ zu suchen, da jeder fürsorgende Mensch weiß, dass Fürsorge immer auch schwierige Entscheidungen über Leid und Wohl des betroffenen Lebewesens bedeutet. Dabei einen Jäger zu zitieren ist nur ein erneuter Versuch, witzig zu sein.
Auch der plumpe Versuch, sogenannte Gnadentiere mit einer Weiterentwicklung der Schoßtiere zu betiteln, zeugt von einer bemitleidenswerten Angst, dass die Tierleichen vielleicht eines Tages nicht mehr in den Wohlstandsbäuchen beerdigt werden.

Der Lebenshof – ein Ort für alle Lebewesen

Die Aussage „je größer Gefühlsduselei gegenüber Tieren, desto wertloser wird das Leben von Menschen“ ist ebenfalls ein krampfhafter Versuch, die Welt zu verkehren. Denn würden die Autoren sich umschauen, würden sie merken, dass die Menschen, die sich für die Tiere einsetzen, oft auch die sind, die sich für Menschen einsetzen. Die Tiere in die Sphäre moralischer Berücksichtigung zu holen, ist ein Schritt der Erweiterung, nicht der Beschränkung. Tierrechtlich aktive Menschen sind oftmals aus ethischen, antidiskriminatorischen Gründen vegan. Ganz im Sinne einer Gerechtigkeit für alle Menschen, auch derjenigen jenseits der Landesgrenzen. Dies ist auch eine der Grundideen von einem Hof, der Tiere aus der Anonymität der Nutzungsindustrie rettet, sie in ihren moralischen Rechten miteinbezieht und dadurch noch einen Schritt weiter in Richtung Gewaltlosigkeit gehen möchte. Ein solcher Hof möchte Bildungsstätte sein und Lebensort für engagierte und für bedürftige Lebewesen. 1 Viele Hofprojekte, nennen wir sie Lebenshöfe, denn der Begriff scheint mir angebrachter, sind vorneweg bei der Integration von bedürftigen Menschen, wie zum Beispiel flüchtenden.
Ebenso sind die Aktiven der Lebenshöfe oftmals Expert*innen und Vorreiter*innen einer neuen, nachhaltigen Landwirtschaft, die es auch zukünftigen Generationen ermöglicht, auf diesem Planeten zu leben. Denn sie haben erkannt, dass eine Reform der Landwirtschaft dringend notwendig ist, wenn der ökologische Fußabdruck (sicher auch ein Parameter, der den Autoren das Schaudern lehrt) dahingehen soll, dass wir nicht drei Planeten brauchen, sondern nur den einen, den wir haben.
Womit wir wieder bei der Angst wären. Warum die Autoren niemals einen Hof besucht haben, scheint auf der Hand zu liegen – sie haben Angst sich den Tieren und der Realität zu stellen. Würden sie sich einlassen – auf die Tiere, auf den Wahnsinn der Tierindustrie -, dann wären sie nicht mehr die gleichen. Von dem Erleben der Tierindividuen und dem Wissen der Realität kommt man nicht zurück wie von einem netten Ausflug. Niemand, der sich dieser Diskrepanz zwischen faszinierendem Lebewesen und ausgebeutetem “Nutz”-Wesen und den Folgen dieser Industrie stellt, bleibt der gleiche Mensch wie zuvor. Niemand. So kommt es, dass Besucher*innen eines Lebenshofes immer ein Stück Veränderung mit nach Hause nehmen.
Es kann jedoch sein, dass sich jemand nicht traut, sich diesem vielleicht erschütternden, Erlebnis zu stellen. Wer sich aber nicht traut, in die Idee Lebenshof als Impuls zur Veränderung hinein zu schauen, der schaut natürlich daran vorbei und ringt verzweifelt um ein Bild, das ihn und seine Neigungen (zum Beispiel die Neigung Tiere zu essen, statt zu respektieren) schützt. In so einem Fall wird dann der Besuch eines Lebenshofes lieber gemieden und mit Vorurteilen gearbeitet.

Ein Gnadenhof ist ein Ort für alle Lebewesen

Die Welt verändert sich in zweierlei Hinsicht

Ebenso wenig ist das Ziel möglichst viele Tiere zu horten, sondern es können so viele Tiere Platz finden, wie es Raum und Zusammenleben sinnvoll zulassen, und diese Tiere fungieren in gewisser Weise als Botschafter für all die anderen, ausgebeuteten Tiere. So bedeutet eine Rettung für das Individuum einerseits die Welt, andererseits hilft es dabei die Welt nachhaltig zu verändern. In einer Zeit, wo kaum Jemand mehr weiß, wie ein Schwein aussieht und sich verhält, kann nur über den Kontakt zu den sogenannten “Nutztieren” verstanden werden, wer sie sind und was sie brauchen. Darum ist ein Lebenshof, wo anderen Lebewesen begegnet werden kann und Zusammenhänge erkannt werden dürfen, einer der wertvollsten Bildungsorte überhaupt. Hätten sich die Autoren die Zeit und den Mut genommen, einmal ein ernsthaftes Lebenshofprojekt zu besuchen, wären sie wohl erstaunt gewesen, wie sehr dieses Projekt in die Zukunft ihrer Enkel investiert.
Und so kommt es: Gnaden- und Lebenshöfe sind eine Gnade für uns alle. So wir uns denn noch helfen (lassen) wollen.

In diesem Sinne lade ich die Autoren herzlich ein, die Angst zu überwinden, an den Fortschritt zu glauben, an die Freude sich weiterzuentwickeln, und den Lebenshof Hof Narr zu besuchen! Mehr Narren braucht die Welt und Orte die wieder das Hinterfragen anregen.

1 Hier ist ein Vergleich zu Zoos angebracht. Diese rühmen sich damit, einen Bildungsauftrag zu erfüllen und die Menschen für die Notwendigkeit von Natur- und Artenschutz zu sensibilisieren und den Bezug zu Tieren herzustellen. Allerdings lernt man in Zoos nur eines: Dass es in Ordnung ist, Tiere für die eigene Belustigung einzusperren. Während in Zoos die Tiere nur Mittel sind, stehen bei einem Lebenshof die Tiere um ihrer selbst willen im Mittelpunkt. Zoos reißen überdies auf oftmals brutale Weise Tiere aus ihrem natürlichen Habitat und halten sie unter tristen Bedingungen gefangen. Lebenshöfe retten Tiere aus der normal gewordenen, grausamen Nutzungsindustrie und somit aus der Anonymität in der diese Tiere, zu Waren degradiert, dahinvegetieren. Auf den Lebenshöfen wird versucht ein ihren Bedürfnissen entsprechendes Leben zu gewährleisten UND über den Fokus auf die Bildung (zum Beispiel über Ethikunterricht auf dem Hof) die Situation der Tiere allgemein zu verändern, und langfristig alle Tiere zu befreien und den Eigentumsstatus abzuschaffen.  Den eigentlichen Bildungsauftrag erfüllen also Lebenshöfe, da diese im Sinne der Bedürfnisse der Tiere denken und ein Verhältnis zu Tieren auf Augenhöhe vermitteln.

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