„Eine 100%ige vegane Lebensweise ist nicht möglich“ – Eine Auseinandersetzung mit einem Missverständnis

„Eine 100%ige vegane Lebensweise ist nicht möglich“ – Eine Auseinandersetzung mit einem Missverständnis

Der Veganismus wird von einem Missverständnis begleitet, dem sowohl jene anheimfallen, die den Veganismus ablehnen als auch Vegane selbst. Dieses Missverständnis beruht auf der Auffassung, dass für eine vegane Lebensweise keine Tiere sterben müssen. Für Kritiker*innen [1] ist es einfach, so den Veganismus zu diskreditieren. Für Vegane ist es einfach, sich so auf der ethisch vollkommenen Seite zu wähnen.

Vereinheitlichung und Abgrenzung von “den Tieren”

Nun reicht ein kurzer Hinweis darauf, dass Veganismus eben nicht bedeutet, dass kein Tier für die eigene Lebensweise stirbt, sondern dass für die eigene Lebensweise kein Tier sterben soll. In diesem Sinne handelt es sich nicht um eine beschreibende (deskriptive), sondern eine wertende (normative) Aussage, bei der versucht wird, so wenig wie möglich Leid zu verursachen und die damit dem Vorwurf entgeht, dass für eine vegane Lebensweise auch Tiere sterben. Viel interessanter aber sind die Voraussetzungen und die Implikationen, die mit dem genannten Missverständnis und auch dessen Entgegnung einhergehen. Es zeigt sich, dass die Kritik selbst einem religiösen, totalisierenden und homogenisierenden Denken verhaftet ist, das allzu oft dem Veganismus vorgeworfen wird.

In ihrer Dialektik der Aufklärung haben Max Horkheimer und Theodor W. Adorno geschrieben: „Die Idee des Menschen in der europäischen Geschichte drückt sich in der Unterscheidung vom Tier aus“.[2] In diesem Satz kommt das ganze Missverständnis zum Ausdruck – das Missverständnis, dass es hier “uns” Menschen gäbe und dort „die“ Tiere. In dem Versuch, die Idee des Menschen zu konstituieren, bedarf es etwas, das als Gegenpol funktioniert. Dieser Gegenpol ist das Tier. Ohne die Idee des Tieres ist die Idee des Menschen nicht möglich.[3] Interessant an diesem Faktum ist nun, dass im Begriff des Tieres eine extreme Homogenisierung, also Vereinheitlichung, stattfindet, die es erlaubt, den Veganismus zu diskreditieren. Schimpansen sind Menschen (biologisch) näher als Regenwürmer, und doch werden Schimpansen und Regenwürmer im Begriff des Tieres gleichgesetzt und vom Menschen abgegrenzt. In dieser Selbstbestimmung des Menschen wird das Tier homogenisiert und jede Spezies der übergeordneten Kategorie unterworfen, darin eingesaugt.

Dieses Beispiel hat ganz konkrete theoretische Implikationen für die Kritik des Veganismus: Wenn für die vegane Lebensweise Tiere sterben, dann ist der Veganismus nicht möglich, und Veganer*innen sind heuchlerisch. Diese Kritik ist in ihrem Denken totalisierend und homogenisierend. Differenzen werden nicht mehr berücksichtigt. Wenn Veganismus bedeutet, dass kein Tier für einen stirbt oder sterben soll, dann gibt es keine Differenzen, keine Abstufungen, keine Berücksichtigung konkreter Situationen mehr. Es macht dann keinen Unterschied mehr, ob man ein Schwein tötet, um es zu essen, einem Affen den Kopf aufschneidet, um an ihm zu forschen, eine Kuh tötet, um ihre Haut zu tragen, einen Elefanten einsperrt, um ihn Kunststückchen vollbringen zu lassen, einen Hund anleint und in der Wohnung hält, Getreide isst, für dessen Ernte Mäuse und Insekten getötet werden oder beim Joggen auf einen Käfer tritt. Die Forderung lautet scheinbar: „Wer gegen Vivisektion ist, soll keinen Atemzug mehr tun dürfen, der einem Bazillus das Leben kostet“.[4]

Das Prinzip “Alles oder nichts”

Diese Homogenisierung von unterschiedlichen Lebewesen und deren Kategorisierung als „Tiere“, der wir uns alle nicht komplett entziehen können, beruht in Verbindung mit einer Kritik am Veganismus auf dem Prinzip des „Alles oder nichts“. Wenn man nicht alle retten kann, dann braucht man niemanden zu retten. Wenn man nicht 100% haben kann, dann kann man es gleich sein lassen. Wenn ein Schiff verunglückt und 20 Menschen über Bord gehen, aber nur 15 auf dem Rettungsboot Platz haben, kann man auch gleich alle sterben lassen.

Schiffbruch - alle retten oder niemanden?
Da wir nicht alle retten können, können wir gemäß des Alles oder nichts-Prinzips leider niemanden retten.

Dem Veganismus wird oft unterstellt, eine Religion oder ein Religionsersatz zu sein. Ironischerweise ist das „Alles oder nichts“-Prinzip in seinem Denken selber religiös: Wir können nicht vollkommen sein und werden sündigen, also lasst uns sündigen! Dem liegt die Idee einer Reinheit zugrunde, die ihren Ursprung im Christentum hat. Das Ziel der christlichen Lebensweise ist es, frei von Sünden zu sein. Der Mensch kommt zwar sündig in die Welt und ist damit auch belastet (schon alleine durch die Erbsünde), aber das Bestreben ist es, sich der Sünden zu entledigen und Buße zu tun. Dieser Gedankengang wird (unzulässig) auf Veganer*innen übertragen: Wenn Veganer*innen nicht 100% vegan leben können, dann sind sie selber nicht rein, also heuchlerisch, und damit ist die ganze Idee des Veganismus diskreditiert.

Dabei müssen Kritiker*innen sowie Vegane selbst das Prinzip des Veganismus als etwas verstehen, das Orientierung bieten soll in einer durch und durch speziesistischen Welt, aber selbst noch nicht die Begründung für ein bestimmtes Verhalten ist. „Keine tierlichen Produkte“ ist nur die Handlungsanleitung, nicht die Begründung selbst. Wie nun die Begründung ausfallen mag,[5] sie darf nicht den Fehler begehen und der Vereinheitlichung und Totalisierung des „Tieres“ anheimfallen, sondern muss die Differenzen spezifischer Produktions- und Konsumverhältnisse und Lebewesen berücksichtigen. Ob man ein Schwein oder einen Käfer tötet, ob man indirekt oder direkt tötet, ob man indirekt oder direkt töten lässt, ob die Tötung Mittel oder Zweck ist – das sind unterschiedliche Dinge, die auch entsprechend unterschiedlich betrachtet werden müssen und nicht einfach gegeneinander verrechnet werden können.
Ironischerweise können die Kritiker*innen des Veganismus, wenn sie nach dem Alles oder nichts-Prinzip verfahren, ihre eigenen Verfehlungen nicht außer acht lassen. Wer in dieser Gesellschaft lebt, der unterstützt eine Regierung, die Waffenexporte an Länder genehmigt, in denen Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Nach dem Prinzip “Alles oder nichts” wäre es durch das genannte Beispiel gerechtfertigt, jemanden, den man nicht mag, zu schlagen. Ebenso nutzen Kritiker*innen jener Art Smartphones, Kleidung, Elektrogeräte, Kaffee, Zucker usw., bei denen oft miserable Bedingungen für Menschen herrschen. In der Logik jener Kritiker*innen dürfte man sich also erst dann für Menschenrechte einsetzen, wenn man an keiner Praxis mehr beteiligt ist, für die keine Menschen mehr unterjocht, diskriminiert und ausgebeutet werden (was im Kapitalismus nicht möglich ist).

Der Artgenosse – Geil.


Konsequantialismus
Konsequentialistische Ethiken beurteilen die moralische Richtigkeit einer Handlung nach deren Folgen. Zentral ist nicht die Handlung an sich, sondern welche Konsequenzen daraus entstehen. Eine klassische konsequentalistische Position vertritt z.B. der Utilitarismus.

Deontologische Ethik
Deontologische Ethiken bewerten die moralische Richtigkeit einer Handlung aufgrund eines ihr innewohnenden Werts. Unter weitgehender Absehung der Konsequenzen liegt der Fokus auf der Absicht einer Handlung, die auf dem Prinzip des Sollens bzw. der Pflicht beruht. Eine klassische deontologische Position vertritt z.B. Immanuel Kant.
(Vgl. Lutz-Bachmann, Matthias: Grundkurs Philosophie. Band 7. Ethik. Stuttgart: Reclam 2013.)

Ein klassisches Gedankenexperiment stellt das Trolley-Problem dar: Ein Güterzug rast auf 5 Personen zu. Durch Umleiten der Schienen könnte der Zug auf eine andere Schiene gelenkt werden, auf der sich allerdings eine weitere Person befindet. Das moralische Dilemma besteht darin, ob durch aktives Eingreifen der Tod einer anderen Person in Kauf genommen werden darf. Eine konsequentialistische Ethik bewertet das Leben von 5 Menschen höher als das von nur einer. Eine deontologische Ethik dagegen betrachtet das Umleiten der Schienen als ansich intrinsisch falsch.

In der Ablehnung des Veganismus zeigen sich die Kritiker*innen schließlich einem Konsequentialismus verhaftet.
Der Konsequentialismus bewertet im Gegensatz zur Deontologie nicht die Absicht einer Handlung, sondern deren Konsequenzen. In dieser Hinsicht ist es gleich, ob ein Tier direkt oder indirekt getötet wird. Der Konsequentialismus im Sinne dieser Kritik ist zugleich der einfachste Weg. Aber auch er ist falsch und unzureichend, wenn zwischen einer Biene und einem Schwein kein Unterschied gemacht wird, weil beides „Tiere“ sind.

Die Sonderstellung des Menschen und die Vertragstheorie

Eine besondere Stellung in der Begründung des Veganismus (bzw. dessen Ablehnung) nimmt die Vertragstheorie ein,[6] alltagssprachlich oft ausgedrückt durch die Aussage „Aber Menschen sind nun mal Menschen und anders als Tiere!“. Davon abgesehen, dass diese Aussage bereits voraussetzt, was erst mal zu beweisen ist (dass es nämlich einfach so „Menschen“ gibt), sind ihre Argumente meistens durch und durch unschlüssig.

Aus der Auffassung, dass Tiere anders sind als Menschen, folgt oftmals die Rechtfertigung der heutigen Tierhaltung. Selbst wenn diese abgelehnt und auf eine „artgerechte“ Haltung gesetzt wird, so stellen Menschen, die eine Differenz zwischen Menschen und Tieren annehmen, doch nicht in Frage, dass es in Ordnung ist, Tiere zu töten. Aus der (unterstellten) Unterschiedlichkeit von Menschen und Tieren folgt aber in keiner Weise, dass Tiere getötet werden dürfen oder keine Rechte haben.

Viele Vertreter*innen der Vertragstheorie versuchen, die intuitive Annahme der Differenz zwischen Menschen und Tieren aufzunehmen und ein ethisches System daraus zu machen.[7] Der Grundgedanke lautet, dass moralische Regeln durch rationale Akteur*innen gesetzt werden und auch nur (direkt) rationale Akteur*innen betreffen. Moral ist in diesem Sinne eine Übereinkunft, die zwischen vernünftigen Subjekten geschlossen wird. Nun hat die Vertragstheorie das Problem, dass es Menschen gibt, die nicht (bestimmte geistig Beeinträchtigte), noch nicht (Säuglinge) oder nicht mehr (Komatöse, manche Demente) rationale Akteure im eigentlichen Sinne sind.[8] Wie umgehen Vertragstheoretiker*innen, diesen Personen moralische Rechte vorzuenthalten? Sie führen den Begriff der „menschlichen Gemeinschaft“ ein. Säuglinge, Komatöse, (manche) Demente und (manche) Menschen mit geistiger Beeinträchtigung[9] genießen volle direkte Rechte, weil sie Menschen und Teil unserer Gemeinschaft sind. Tiere, auch wenn sie eventuell selbstbewusst sind (wie Schimpansen, Schweine oder Delphine) und damit u.U. nicht weniger rationale Fähigkeiten besitzen als manche der genannten menschlichen Personen, sind nicht Teil der menschlichen Gemeinschaft. Ihnen gegenüber bestehen keine direkten, sondern allenfalls indirekte Pflichten. Sie haben keinen direkten moralischen Status, sondern allenfalls einen indirekten.

Kann diese Argumentation überzeugen? Das Argument steht und fällt mit der Annahme einer  „menschlichen Gemeinschaft“. Diese aber ist weder biologisch noch historisch einfach so gegeben. Das Problem mit der Biologie hat einer der renommiertesten Evolutionsbiologen der Welt, Richard Dawkins, auf den Punkt gebracht: „Wenn wir alle Tiere in Betracht ziehen, die jemals gelebt haben, und nicht nur die rezenten Tiere, werden Wörter wie Mensch und Vogel an ihren Grenzen geradeso verschwommen und unklar wie die Wörter groß und dick. […] Wenn auf einigen vergessenen Inseln irgendwo auf der Welt die Überlebenden aller Zwischenstufen bis zurück zum gemeinsamen Vorfahren von Schimpanse und Mensch entdeckt würden, wer würde daran zweifeln, daß unsere Gesetze und unsere moralischen Konventionen zutiefst beeinflußt würden, besonders, da es vermutlich Paarungen entlang der Skala geben würde?“.[10] Auch historisch hat es den „Menschen“ nie einfach gegeben. Die meiste Zeit der Entwicklungsgeschichte über waren (und sind) je nach Kontext Versklavte, Frauen, Menschen anderer Hautfarbe, Menschen anderer Religion und/oder Menschen mit bestimmten körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen keine oder zumindest keine vollständigen Menschen gewesen. Wer jetzt sagt, dass das selbstverständlich Menschen gewesen sind, der hat den Punkt nicht verstanden, dass es nicht um eine biologische Kategorie geht (die bereits widerlegt wurde), sondern um bestimmte Diskursformationen und Machtverhältnisse, die bestimmen, was und wer überhaupt ein „Mensch“ ist.

Es mag uns so vorkommen, dass es eine ganz klare Grenze zwischen Menschen und Tieren gibt. Aber das ist nur dann aufrechtzuerhalten, wenn wir die Dinge so nehmen, wie sie uns gegeben sind und sie nicht in ihrer historischen Entwicklung betrachten. Aus philosophischer Sicht gibt es „den“ Menschen nicht einfach. In jenem Sinne würden wir auch glauben, dass die Erde eine Kugel ist, weil wir direkt nur ihre ebene Fläche wahrnehmen. Nur eine historische Betrachtung kann uns zeigen, dass sich die Ethik nicht auf eine „menschliche Gemeinschaft“ stützen kann und das auch nicht tun sollte, da sie meistens exkludierend (gewesen) ist.

Fazit

Was folgt aus dem Geschriebenen? Wir sollten weniger rigoros in der Ethik denken und nicht nach dem Alles oder nichts-Prinzip verfahren. Es ist angemessen, die Dinge differenzierter und in ihrem je spezifischen Kontext und ihren besonderen Bedingungen zu betrachten. Die direkte Tötung eines Schweines wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass man beim Joggen einen Käfer zertritt. Die Frage nach Grundrechten für Rinder wird nicht dadurch ad absurdum geführt, dass dann auch Bienen Grundrechte haben sollten, weil beides „Tiere“ sind. Genauso wenig sind Bonobos und Mücken ethisch gleich zu gewichten, weil beide „Tiere“ sind. Diese Auffassung wäre in ihrem Wesen genau das, was man dem Veganismus nachsagt: totalisierend und von allen Differenzen absehend.

Anmerkungen & Quellen
[1] Im Folgenden meine ich nur negative Kritik, die eine Ablehnung des Veganismus impliziert. Für eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Kritik siehe den Sammelband “Was ist Kritik?” von Rahel Jaeggi und Thilo Wesche.
[2] Adorno, Theodor W.; Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung. 21. Auflage. Frankfurt a.M.: Fischer 2013, S. 262.
[3] Das Gleiche gilt ebenso für den Begriff des “Mannes”, der der “Frau” bedarf, des “Weissen”, der des “Schwarzen” bedarf oder der “Vernunft”, die des “Wahnsinns” bedarf (für letzteres Vgl. Michel Foucault “Wahnsinn und Gesellschaft”).
[4] Adorno, Theodor W.; Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung. a.a.O., S. 255.
[5] Ansätze sind z.B. der Pathozentrismus, der Utilitarismus, die Tugendethik, die Kantische Ethik, Die Vertragstheorie oder die feministische Ethik (Vgl. Friederike Schmitz “Tierethik”).
[6] Die klassische Vertragstheoretische Position geht auf John Rawls und dessen “Theorie der Gerechtigkeit” zurück. Ansätze der Vertragstheorie und die Betonung der Vernünftigkeit des Menschen finden sich allerdings schon bei Immanuel Kant, dessen Ansatz Ernst Tugendhat in seinen “Vorlesungen über Ethik” aufgenommen hat.
[7] Vgl. Carruthers, Peter: Warum Tiere moralisch nicht zählen. In: Schmitz, Friederike: Tierethik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2014, S. 219-242.
[8] Dieses Argument ist auch bekannt als “Argument der menschlichen Grenzfälle”. Vgl. Wikipedia
[9] Es gibt verschiedene Formen der Demenz ebenso wie es verschiedene Formen geistiger Beeinträchtigungen gibt. Nicht jede demente Person oder jede Person mit einer geistigen Beeinträchtigung ist per se nicht selbstbewusst. Es soll nur deutlich werden, dass es bestimmte Menschen gibt, die nicht selbstbewusst sind, aber trotzdem als Personen und moralische Objekte anerkannt werden, denen direkte moralische Rechte zukommen.
[10] Dawkins, Richard: Der blinde Uhrmacher. München, DTV 2008, 303 u. 305.

5 Kommentare

  1. Tobias

    Hallo Alma,
    ich weiß nicht, ob ich Deinen ersten Satz richtig verstehe. Ganz einfach geantwortet: Doch, es geht hauptsächlich um Tiere. Und zwar um diejenigen, die empfindungsfähig sind. Das schließt theoretisch Menschen zwar mit ein, da diese aber bestimmte Rechte schon besitzen, geht es Veganer*innen eben weder hauptsächlich um Menschen noch um jene Tiere, die nicht leiden können. Das bedeutet nicht, dass Veganer*innen die genannten Gruppen nicht respektieren, sondern nur, dass ihr Hauptaugenmerk woanders liegt. Es geht eben nicht darum, sich dafür einzusetzen, dass Hartz IV abgeschafft wird oder Insekten Grundrechte bekommen – sondern dass empfindungsfähige Tiere in ihren Interessen/Rechten berücksichtigt werden (das gilt zumindest für die Selbstzuschreibung als „vegan“).
    Außer, Du meinst, es ginge um die „Kategorie“ Tier, nicht um die Individuen. Dann hast Du recht. Aber die meisten Veganer*innen berücksichtigen Individuen, nicht abstrakte Konzepte wie Spezies. Allerdings ist es tatsächlich so, dass manche Veganer*innen zu kurz denken und einen egalitären Ansatz vertreten, nach dem alle Tiere als Tiere gleich berücksichtigen sind. Ich lehne diese Art der Gleichmacherei ab. Es geht durchaus darum, Hierarchien zuzulassen, aber eben keine, die auf der Spezieszugehörigkeit gründen, sondern der Leidensfähigkeit. M.E. Sind Hunde oder Schweine mehr „wert“ als Bienen oder Regenwürmer. Eine Gleichmacherei aller „Tiere“ basiert erstens auf falschen Prämissen (ich argumentiere im Artikel dafür, dass das Spezieskonzept eben nicht einfach gegeben ist), zweitens ist es theoeretisch schlecht begründet, da es nicht überzeugend ist, dass Gleichheit nur deswegen herrscht, weil die kategoriale Ordnung („Tier) gleich ist, und drittens weil es unpraktisch ist (wenn alle Tiere gleich sind, dann muss man sich für Regenwürmer einsetzen wie man sich für Schweine einsetzt).
    Das Prinzip der gleichen Berücksichtigung bezieht sich darauf, gleiches Leiden gleich zu behandeln. Aber nicht, alles Leiden für gleich zu befinden. Das Leiden eines Schweins ist größer als das eines Regenwurms. Schweine leiden mehr als Fische. Umgedreht kann ein ausgewachsener Fisch mehr leiden als ein ungeborenes Ferkel. Aber es geht eben nicht darum, dass das Ferkel mehr wert ist, weil es ein Schwein ist, sondern weil es als Individuum weniger leidet als ein entsprechender Fisch. Dass diese Abwägungen nicht so einfach möglich sind und wir im praktischen Handeln auf Vereinfachungen zurückgreifen müssen, steht auf einem anderen Blatt.
    Ein konkretes Beispiel: Du sprichst von der Ausbeutung von Bienen und dem Absprechen ihrer Empfindungsfähigkeit. Diese muss aber erst mal bewiesen werden. Sie ist nicht einfach gegeben, weil man sie als „Tier“ kategorisiert hat. Und selbst wenn man davon ausgeht, dass Bienen empfinden können, bedeutet das nicht, dass es keine Hierarchien gibt. Ich jedenfalls nehme an, dass Schweine mehr leiden können als Bienen.
    Das Problem ist dabei, zwischen dem Prinzip der gleichen Interessenberücksichtigung und der Zuschreibung zu einer Spezies zu unterscheiden. Schweine sind prinzipiell leidensfähiger als Bienen. Das bedeuet nicht, dass jedes Schwein immer ethisch höher zu bewerten ist als jede Biene. Im Fall von Bienen und Schweinen mag die Leidensfähigkeit weiter auseinanderliegen, aber wenn man das auf den Vergleich zwischen Menschen und Bonobos überträgt, ist das schon nicht mehr so einfach. Nur speziesistische Vorurteile stellen das Leben eines Menschen prinzipiell über das Leben eines Bonobos.
    Allerdings habe ich das Gefühl, dass es auch Scheingefechte sind. Die Frage, ob Schwein oder Biene, Mensch oder Bonobo, stellt sich praktisch kaum. Was sich stellt, ist die Frage, wieso Milliarden Tiere getötet werden, weil sie schmecken, und nicht, weil es zum Überleben notwendig ist.

  2. Tobias

    Hallo Andreas,

    es gibt mehrere Möglichkeiten, das wissenschaftlich einzufangen: Man schaut sich die Stammesgeschichte eines Lebewesens an und/oder seine Physiognomie. Und Schweine haben eine evolutionäre Entwicklung, die näher am Menschen ist als die von Bienen. Zudem besitzen Schweine ein zentrales Nervensystem, was ein deutlicher Hinweis auf Schmerzempfindung ist, im Gegenteil zu Bienen. Bei Schweinen ist also eher die Frage, inwiefern sie Schmerzen empfinden können, bei Bienen, ob sie das überhaupt können (klar: im Zweifel für die Angeklagten, wenn es um Ethik geht).

    Dazu kommt das Problem des Solipsismus: Letztlich kennt man eh nur den eigenen Schmerz, die eigenen Empfidungen. Auch die anderen erfährt man nur als Objekte. Man kann nicht wissen, wie es sich >>anfühlt<<, was andere fühlen. Und da kommt dann die Ähnlichkeit ins Spiel: Was mir ähnlich(er) ist, hat wahrscheinlich auch ähnlich(ere) Empfindungen wie ich.

    Zu dem Punkt des "Für Veganismus sterben auch Tiere!":
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